Das abhängige Geschlecht

Als sich im 20. Jahrhundert die Kleinfamilie etablierte, verschoben sich auch die Geschlechterkoordinaten. Manche Geschlechtermythen mögen verdampft sein, dafür rückten Herd und Schürze auf der einen, Aktentasche und akkurater Scheitel auf der anderen Seite in den Vordergrund. Die Ehefrau und Mutter galt von nun an als die abhängige Person, die sowohl finanziell vom Ehemann unterhalten wurde, als auch emotional und psychisch von den Kindern abhing, wenn die Ehe denn Kinder hervor brachte. Stichwort Muttersymbiose. Die Kleinfamilie mag in starkem Maße Schimäre gewesen sein, eine zunehmende Abtrennung einer Kernfamilie von älteren Generationen und ferneren Verwandten konnte aber doch beobachtet werden.

Auf dem kleinkarierten Geschlechtermodell basierend wurde sogleich ein ganzes Bild des weiblichen Geschlechts gezeichnet. Es galt und gilt als emotional so fähig wie anfällig, beziehungs- und sorgeorientiert im Gegensatz zu erfolgs- und politisch orientiert. Die Frau kümmert sich um die Familie, der Mann um die instrumentell geprägten Beziehungen zur Außenwelt und zur öffentlichen Sphäre.

So nimmt es wenig Wunder, dass der ideelle feministische und männlichkeitskritische Dreischritt von der Anerkennung der Härte und Notwendigkeit der Sorgearbeit (care!) über die gegenseitige Ergänzung der Geschlechterrollen und -habitus im Sinne von Intellekt und Gefühle, Geld und Körper, Interessen und Werte für alle bis zur Verschiebung der anthropologischen Matrix zu einem Menschenbild eines prinzipiell von Beziehungen und Abhängigkeiten geprägten im Unterschied zum einsamen, hortenden und Grenzen möglichst bewaffnet schützenden Wesens verlief.

Noch ein Quentchen radikaler – wenn auch vielleicht naheliegend – ist die Behauptung, Männer und insbesondere Väter sind schon jetzt hinter dem Schein ihrer Autonomie das eigentlich abhängige Geschlecht. Hängt doch ihr Familienglück eben von den Tätigkeiten ihrer Frau ab und hat doch die Frau und Mutter ihrer Kinder letztlich die Kontrolle über das Ob und Wie der Geburt des Nachwuchses sowie der Methoden seiner Aufzucht.

Selbstverständlich sind beide Geschlechter (in der Zweiermatrix Frau und Mann) zunächst gleichermaßen aufeinander angewiesen, wenn Nachwuchs gewünscht wird. Auch sind die körperlichen Ausdrücke der Fortpflanzung ähnlich ludize: Menstruation und Ejakulation vermitteln, dass Kinder ohne Einsatz des Körpers nicht entstehen. Im Unterschied zum Samen bleibt zwar der Eisprung von außen unsichtbar, aber dass die Periode mit der Fortpflanzungsfähigkeit der Menschen so viel zu tun hat wie dieser, wussten die Menschen sicher schon immer. Doch der menschliche Körper hinterlässt auch einen rätselhaften Stachel. Woher kommen die Kinder – wie entsteht Leben? Um diese Fragen ranken die Bilder und Ideen der Geschlechter auch wenn biologisch-organisch alles aufgeklärt zu sein scheint.

Gerade in der modernen, kapitalistischen und rationalistischen Zeit zielt die Frage nach den Geschlechtern auf die Unmöglichkeit für das männliche Geschlecht, die Züchtung des Nachwuchses unter Kontrolle zu bekommen. Hat schon der eigene Körper des Mannes seinen Eigensinn und bietet nicht einfach formbar-kontrollierbare Masse, so bleibt der Körper der Partnerin noch stärker der männlichen Verfügung entzogen. Davon mag mann sich noch so unbeeindruckt zeigen: Schwangerschaft, Geburt und frühe Fütterung (bei Brusternährung) des Kindes bleibt in den Händen der Mutter des gemeinsamen Kindes. Schon Simone de Beauvoir hat betont, wie sehr die männlichen Mythen über die Weiblichkeit auf die ‚dunkle Natur‘ der Frau zielen, auf die Herabsetzung der Frau zur ‚bloßen, willenlosen Natur‘, die stets die Gefahr ausstrahlt, ihn zu sich herabzuziehen und zu besudeln. „Empfangen und geboren zu sein ist der Fluch, der auf seinem Schicksal liegt, ist die Unreinheit, die sein Sein befleckt.“ (Das andere Geschlecht, Neuübersetzung 1992, S. 198)

Gleichzeitig kann es nicht bei der männlichen Abwehr gegen ‚das Weibliche‘ bleiben. Ermöglichen die Frauen, und nur die Frauen, den Männern sich über den Wege des Nachwuchses zu entfalten und – in der so existenzialistisch angehauchten wie treffenden Sprache Beauvoirs – sich zu überschreiten. „Die Frau, die den Mann zur Endlichkeit verurteilt, ermöglicht es ihm auch, seine eigenen Grenzen zu überschreiten.“ (S. 200) Hier liegt des Pudels Kern: Nachwuchs wird nicht nur gezeugt, um das materielle und geistige Erbe zu sichern oder weil Babys und Kinder so niedlich sind. Kinder ermöglichen die Überschreitung einer Grenze; wir sehen uns selbst in ihnen, doch nicht nur unsere eigene Kindheit (als Identifikation), sondern auch, wie wir noch hätten sein können. Wir entfalten uns anhand ihrer Entwicklung. Dabei mögen auch Projektionen und reine Wunschbilder eine Rolle spielen (unter deren Druck Kinder erheblich leiden können), aber im gelungeneren Fall wachsen wir selbst ein wenig im Anblick der Persönlichkeiten unserer Kinder.

Zusammengefasst habe ich hier zwei Hypothesen:

  1. Männer sind nach wie vor körperlich abhängig von der Mutter ihrer Kinder, wenn denn Kinder gewünscht werden. Möchte eine Frau ein Kind zeugen, braucht sie zwar den Samen eines Mannes, braucht danach aber keine Sorge zu haben, wie sich das Leben bildet – nämlich unabhängig vom Erzeuger.
  2. Die Zeugung von Nachwuchs bildet eine zentrale Möglichkeit, sich zu überschreiten, zu entfalten, kurz gesagt, zu leben, wenn mit Leben gerade nicht der Erhalt oder die Übertragung von Gütern einerseits oder die Identifikation mit einem starren Bild des Selbst (aus der Vergangenheit) andererseits gemeint ist.

Zwei rohe Überlegungen noch zum Schluss.

  1. Auch ohne den männerrechtlichen und maskulinistischen Überhang wurde schon seit Jahren ein Gender-Backlash beobachtet. Es könnte sein, dass der zunehmende Druck in der Arbeitswelt (ökonomisch, aber auch durch die Aufdeckung der Kleinfamilie als Schimäre: wir wissen inzwischen von patchwork Familien, Alleinerziehenden und verwaisten Kindern) die Möglichkeiten der Selbstentfaltung in der Arbeitswelt eher gedeckelt werden. In dieser, wie auch in der Freizeitindustrie, kommen die Leute nur noch mit viel mehr und kurzlebigerem Wissen im Unterschied zur persönlichen Bildung über die Runden. Um so mehr kommen Bindungen an die Familie und besonders den Nachwuchs in Frage, um nicht praktisch bei sich selbst stehen zu bleiben. Ohne dass sich jedoch in der Welt der Geschlechter Wesentliches getan hätte, trifft nun aber die Menschen die Wucht der körperlichen Abhängigkeit noch direkter. Das macht eine an Idolatrie reichende Orientierung an Geschlechtermodellen attraktiv, faktisch zwar zum Leidwesen der Selbstüberschreitung, aber paradoxer Weise in der Funktion ihres Rettungsankers.
  2. Wie wird die Kleinfamilie/Partnerschaft mit ihren Geschlechtermodellen und -mythen heute gelebt? Für das abhängige Geschlecht gilt im besonderen Maße, dass eine Art Remystifizierung stattfindet. Nach dem Ende der Selbstherrlichkeit des schnäuzigen Familienvaters stehen sich ein tolpatschiger und eingeschüchteter Partner sowie eine tadelnde und ungeduldige Partnerin gegenüber. Auch wenn mann inzwischen im Haushalt mitmacht und auch der Beziehung zu den Kindern nicht entsagt. Moderne Männer bleiben in einem Käfig, einem Käfig aus Unsicherheit, zumindest zeigt sich die Annahme einer nicht selbstherrlichen Lebendigkeit als kompliziert und langwierig.

 

::Edit::

Als Kontrastprogramm empfehle ich diesen Beitrag zum selben Thema von Heinz-Jürgen Voss: ‚Der Mann‘ und Männlichkeiten in ihrer Einbindung in Herrschaftsverhältnisse

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