Zu Selbstverwertung und Selbstvariierung

Das Stichwort Selbstverwertung geistert seit einigen Jahren durch die akademische und feuilletonistische Landschaft. Selbstverwertung geschieht, wenn sich Menschen zu sich selbst verhalten wie das Kapital, wenn sie Humankapital aus sich machen. Kapital, eigentlich zur eine bestimmte Menge Geld, zeichnet sich eben durch Verwertung aus, durch eine stete und potentiell endlose Vermehrung seiner selbst. Kapital braucht Optimierung, Steigerung, Wachstum. Kann sich das Kapital nicht verwerten, geht es praktisch pleite, zerbricht und scheitert. Kann es überhaupt sein, dass Menschen ganz ähnlich funktionieren?

Es nimmt kaum Wunder, dass dieses Selbstverhältnis von Menschen in die Kritik geraten ist. Denn es ergeben sich intuitiv logische Probleme. Der Mensch kann doch nicht vermessen werden, wie eine Ware, nicht in Zahlen ausgedrückt werden. Also lässt sich auch eine Steigerung oder Optimierung nie genau feststellen. Das gilt aber nur bedingt, denn einerseits sind auch Waren, wie Tiefkühlerbsen oder eine Tauchausrüstung, Gegenstände, die als solche nicht einfach messbar sind, aber eine quantifizierbare Geldbezeichnung erhalten können. Nämlich einen Preis. Andererseits lernen wir Benotungen und Skalenwerte für menschliche Eigenschaften schon sehr früh kennen. Wenn auch nicht der ganze Mensch, so lassen sich doch bestimmte Eigenschaften von Menschen durchaus vermessen und in Zahlen ausgedrückt vergleichen und bewerten.

Ein weiteres Problem besteht darin, dass die Selbstverwertung von Menschen vielleicht ein schönes Wort abgibt, aber in der Realität bloße Anbiederung zur Ausbeutung bleibt. Humankapital hin, Selbstoptimierung her, die meisten Individuen bleiben bei einer Firma angestellt oder als (Schein)Selbständige ohne Sozialversicherungen auf Honorarbasis bei einer oder mehreren ‚Vertragsparter‘-Firmen beschäftigt. Diese Firmen erlösen die Verwertung ihres Kapitals nicht aus dem Nichts, sondern aus der Arbeitskraft der Arbeitenden. Diese werde, wie Marx richtig analysiert hat, gerecht bezahlt, liefern aber dennoch unbezahlte Arbeitskraft ab, die sich die Firmen, letztlich das Kapital, aneignen. Das stimmt zwar, es stimmt aber auch, dass viele Menschen bei vielen Gelegenheiten sich trotzdem selbst verwerten.

Denn bei der Selbstverwertung spielen auch andere Aspekte eine Rolle, die nicht mit Kapital in Form von Geld verwechselt werden sollten. Trotz ökonomischer Ausbeutung, also einer andauernden Wertaneignung der Arbeitskraft durch die, die die Arbeiter_innen beschäftigen und bezahlen, durch das Kapital also, verwerten wir unsere Fähigkeiten und unser Können selbst. Wobei das ‚Wir‘ natürlich eine Reihe Einschränkungen erfahren muss: dazu gehört an Mindestmaß an Bildung, an Erfahrungen im Lernen und an Ressourcen finanzieller, technischer und emotionaler Art. So gesehen haben manche Menschen gelernt, zu lernen. Sie haben sich diszipliniert, das heißt sich den bewertenden Blick anderer auf sich angeignet. Sie können sich überlegen, ob sie etwas gut können oder nicht, ob sie die Fähigkeiten haben, etwas zu tun oder zu verändern. Zum Beispiel einen Tisch zu bauen, einen Computer zu programmieren oder einem Hund das Apportieren beizubringen. Selbstverwertung bedeutet nicht nur, eine Tätigkeit zu erlernen, sondern die eigenen Fähigkeiten in deser Tätigkeit bewerten zu können und daraus Ziele für die Zukunft ableiten zu können. Sich selbst verwertende Menschen können sich überlegen, ob sie in Zukunft diesen Beruf, jenes Hobby oder sonstwie bezeichnete Tätigkeit ausüben können. Auf diese Weise kann ich mich in dem Sinne selbst optimieren und wachsen, dass ich mir in Zukunft weitere Möglichkeiten erschließe.

Die Ausdrücke ‚Möglichkeiten‘ und ‚Tätigkeiten‘ klingen vielleicht menschlich neutral, vielleicht vergleichbar mit Farben eines Gegenstandes, seines Gewichts oder seiner Verwendungsweise. Aber Möglichkeiten und Tätigkeiten bilden nicht zuletzt auch die Identität eines menschlichen Individuums mit. Meine Identität kann ich mir zwar nicht aussuchen, wie die Farbe meines Autos (so weit ich mir überhaupt eines leisten kann), aber ich kann sie beeinflussen. Ich kann also nicht nur lesen, schreiben, rechnen und auf Facobook Links teilen, ich bin auch ein lesender Mensch, ein sozialer Mensch, ein technisch begabter – oder eben nicht. Und ich kann mich in diesem Punkt verändern, anders als in der Länge meiner Arme oder in der Unfähigkeit, einen Elefanten zu tragen.

Die Steigerungs- und Optimierungslogik sich selbst verwertender Menschen lässt sich sehr gut am Körper erläutern. Sie haben sich selbstverständlich ihren Körper nicht ausgesucht, der Körper ist gegeben. Aber die Identität, das Selbstbild dieser Menschen, entsteht gerade nicht einfach dadurch, dass sie ihren Körper vorfinden und entdecken. Vielmehr können sie ihr Geschlecht wechseln, ihre Seefehler korriegieren lassen, das Verhältnis von Muskel- und Fettmasse verändern usw. Von kosmetischen Eingriffen ganz zu schweigen. Sie können sich optimieren, indem sie mehr Möglichkeiten zu leben und zu erscheinen für ihre Zukunft in Betracht ziehen und in ihren Praktiken anvisieren können, als ihnen gegeben sind.

Sicherlich fallen dadurch (vorläufig) auch immer andere Möglichkeiten weg, wenn jemand eine realisiert hat, womit Perfektionist_innen ihre Probleme haben, aber das ist eine andere Geschichte.

Nun kann man einiges dagegen haben und beispielsweise den anarchischen Austritt aus der Gesellschaft der Selbstverwertung fordern. Oder einen ironischen Umgang mit diesen Erwartungen oder einen melancholischen. Die Motive und die Argumente der Kritik am selbstverwertenden und selbstoptimierenden Menschen lasse ich hier aber außer Acht. Den schärfsten Kontrast der Selbstverwertung bildet doch ihre Grenze, ihre Endlichkeit. Schon vor Jahrzehnten wurde behauptet, dass die Grenzen des Wachstums in den natürlichen Ressourcen lägen, dass also technisch irgendwann nicht mehr genug Energie aus Kohle, Öl oder Uran zu gewinnen ist, um noch Wachstum zu gewährleisten. Aber diese technischen Grenzen lassen sich auch verschieben, nämlich durch einen anderen Umgang mit den Ressourcen und durch die Erschließung neuer Techniken. Den eigentliche Stachel im lebendigen Fleisch der Selbstverwertung bilden Krankheit, Alter und Tod. Es ist dieses Trio der Endlichkeit des Menschen, das seiner Selbtverwertung auch identitäre Grenzen setzt, das nämlich wirklich schmerzt und Lücken in die schier unendlichen Speicher der menschlichen Möglichkeiten reißt. Es geht dabei um mehr, als um die Unfähigkeit einen Elefanten freihand heben zu können, was wohl niemand ernsthaft ins Auge fassen würde. Es geht darum, dass der Selbstverwertungsmensch durch Krankheit, Alter und Tod gerade der Zugang zu realisierbaren Optionen verschlossen wird, weshalb ‚wir‘ diese Grenze oft und gerne aus unserem Bewusstsein verdrängen und den Umgang mit ihr einigen Expert_innen überlassen. Dazu gehören Bestattungsunternehmen, Pfleger_innen, Ärzt_innen, Psychotherapeut_innen und öfter als vielen von uns vielleicht lieb ist die Religionen und die Kirchen.

Nun möchte ich ein Gedankenexperiment machen. Ich stelle die Selbstverwertung als festen Teil meiner und unserer Identität fest, ich will außerdem die Relevanz ihrer Grenze, des Stachels menschlicher Endlichkeit, nicht leugnen und sogar behaupten, dass Aufklärung durch Betonung dieser Grenze(n) bitter nötig ist. Ich will weiterhin nicht leugnen, dass Selbstverwertung und ihre Grenzen erhebliche Bedeutung für unser Zusammenleben haben. Hier kommen Fragen der Moral, der gegenseitigen Instrumentalisierung, gegenseitgen Verletzung und der Schutzmechanismen: universelle moralische Prinzipien, Achtung vor kommunikationsfähigen Subjekten, Anerkennung oder sittlicher Gemeinschaftssinn ins Spiel. Aber auch diese Punkte möchte ich für einen Augenblick beiseite legen.

Wie sähe ein anderes Modell des Selbst aus, in dem die Selbstverwertung überhaupt keine Rolle spielt? Ich hatte viel Arbeit, um zu vermeiden, mit negativen Bestimmungen anzufangen (wie: ein Selbst, dass sich nicht misst, nicht optimiert, aber auch keine universelle Moral braucht etc). Postmoderne Subjekttheorien geben den meist ziemlich kargen Hinweis, dass wir uns ja nicht als Zentrum unser selbst betrachten müssten. Ich bin dann ein Knoten im Netz, ich bin Du und viele Dus. Aber was heißt das? Man könnte das ganz gut anhand des Romans erklären. Denn die oder der Autor_in des Romans drückt sich selbst keineswegs nur in einer der Figuren aus (was die leidige Suche nach den Sätzen, in denen die  Autorin selbst spricht nicht einfacher und nicht angeratener macht). Vielmehr drückt sich die Autorin in allen Figuren aus, den alten, den jungen / den weiblichen, den männlichen / den aufmerksamen, den verschlossenen / den dreisten, den gehemmten, den vorsichtigen, den pragmatischen oder den psychopathischen. Zumindest drückt die Autorin ein Verständnis all dieser Figuren aus, die Fähigkeit, viele Erscheinungen und Betrachtungsweisen des Menschlichen verstehen zu können. Aber ich bin damit doch wieder bei den vielen Möglichkeiten angelangt, die zumindest unsere Vorstellungskraft hervorbringen und bevölkern können, bei Gelegenheit auch gleichzeitig. Steigert der Roman nicht wieder nur unsere Möglichkeiten? Spiegelt er die moderne Selbstverwertung und ihre Grenzen nicht lediglich auf eine unterhaltsame und schöne Weise wider?

Das tut er sicherlich. Der Schlüssel zu meiner Idee liegt in der Einschränkung, dass die Autorin des Romans ihre Figuren nur zu verstehen braucht. Sie braucht sie nicht zu sein. Das heißt, sich menschliche Möglichkeiten anzueignen (übrigens auch und gerade als Leser_in), ohne eine Identität daraus zu machen. Da fällt sofort der Begriff der Maske, des Spiels mit Rollen, und es kommt eine Vorstellung vom (inneren) Theater auf. Das wäre alles an sich nichts Neues: Maske, Rolle und deren Verwandlung. Auch der Gedanke, dass Masken die innere Identität schützen, den oft gemeinen und entwürdigenden Blick der anderen ablenken, gehört bereits zur psychologisch informierten Anthropologie des letzten Jahrhunderts. Aber ich meine, dass menschliche Möglichkeiten nicht nur im Hinblick auf ihre Vermehrung oder Minderung betrachtet werden können, sondern im Verhältnis von Kohärenz und Flüssigkeit, von Ernst und Spiel. Wenn die Romanautorin menschliche Möglichkeiten versteht, dann werden diese auch ihre eigenen. Aber sie müssen es nicht bleiben, ohne sofort in die Peripherie ihrer Persönlichkeit abgedrängt zu werden, sondern als Vehikel der Veränderung ihrer selbst (und auch immer wieder: ihrer Leser_innen), wie eine Verschränkung von Persönlichkeiten gesehen werden, die das ‚Innere‘ durchaus antasten, aber nicht seine Solidität bedrohen. Es handelt sich dabei um Selbstvariierung.

Wohlfeil und leichthin kann der Tod der Autorin behauptet werden, der Tod der Romanautorin, der Autorin von Werken jeglicher Art oder auch des eigenen Lebens. Aber das lässt sich nur schwer plausiblisieren, wenn man bedenkt, dass der Name bleibt, die Solidität der Person, die etwas, vom Werk bis zum eigenen Leben, schafft, nicht eliminiert werden kann. Der Witz des Selbst 2.0 oder des postmodernen Selbst oder des Selbst der gegenseitigen Verschränkung besteht darin, dass das Verstehen anderer menschlicher Möglichkeiten niemals ihre vollständige Übernahme, Einverleibung oder Integration ins Selbst sein kann. Vielmehr verändert sich das Selbst, wenn es sich andere, für ihn neue Möglichkeiten aneignet. Es bewirkt bei sich selbst eine Verschiebung, Umdeutung und Erneuerung dessen, was es bereits ist, ohne die Person dabei aufzulösen. Es präsentiert sich auch nicht nur anders vor anderen Personen, während es beispielsweise eine Verhaltensweise mit ihnen teilt, die sie sonst nie praktiziert, jedoch vor wieder anderen Personen geheim hält. Vielmehr entsteht durch die verstehende Aneignung von Möglichkeiten eine neue Konstellation, die nicht zuletzt die bis dahin bestehenden Möglichkeiten (die aber wirkliche Elemente der Persönlichkeit sind) selbst verändert.

Um solche abstrakten Beschreibungen zu konkretisieren bieten sich mehrere Lebenssituationen oder Sphären des sozialen Lebens an. Da wäre die Beziehungsarbeit, in der sich Liebende gegenseitig zu verstehen suchen, in der Perspektivübernahme aber nicht der oder die andere werden, sondern sich selbst verändern. Jenseits der Kunst und speziell des schon erwähnten Romans bietet sich auch das Internet als Sphäre des sich verstehend wandelnden Selbst an. Denn hier, wiewohl freilich nicht im ganzen Internet oder im Internet überhaupt, entstehen Arbeits- und Lebensweisen, die mit Selbstverwertung nur noch wenig zu tun haben. Leute produzieren zwar nach wie vor Sachen und Werke, aber diese gehören nicht mehr ihnen, oder nach dem Verkauf jemand anderem. Sie tragen zwar einen Namen, aber sie können allseitig angeeignet werden, um von diesen verstehenden Akteuren zur Verschiebung und Erneuerung ihrer selbst genutzt zu werden. Dabei lösen diese sich nicht auf, sondern verweilen durchaus bei sich selbst, doch die Lektüre eines Kommentars, eines Artikels, der Genuss verschiedenster ‚privater‘ Youtube-Filmchen löst einen speziellen Aha-Effekt aus, der, grob gesagt, die eigene Sicht auf die Dinge in Fluss bringt. Zwar einen Fluss mit Ufern, aber doch einen Fluss. Im Internet findet Konsumtion statt, die immer auch Produktion ist, auch wenn das Produkt nicht sofort in Form eines Videos, Musikstücks oder Textes sichtbar wird.

Vielleicht geht es einfach um eine Generalisierung des Ästhetischen, da der Genuss von Kunstwerken immer schon produktiv war oder so gesehen wurde. Und weil in der Kunst die Optimierung der verstehenden Darstellung und Aneignung gegenüber immer eine untergeordnete Rolle spielte. Kunst ist eben nicht Können und schon lange kein Handwerk mehr. Dass die Kunst (vielleicht auch die Wissenschaft) dann aus ihrer Sphäre herausgezogen und entwürdigt würde, mag für viele ein Problem darstellen. Schwieriger stelle ich mir eine Erklärung des Begriffs ‚Generalisierung‘ vor. Durch Generalisierung verliert die Kunst sicherlich ihren Nimbus, ob er als Qualitätssiegel oder Abschreckung fungiert, dessen materieller Kern jedoch die Beständigkeit von Kunstwerken durch die Zeit hindurch ist. Jetzt (und gerade im Internet) werden aber aus der Sicht der ‚gehobenen‘ Kunst nur Zeugs und Schnipsel produziert, die keinen Bestand haben, schnell vergessen und gelöscht werden können. Kunst braucht Zeit und die gibt es im Internet, speziell im Social Web, nicht. Dieses Argument hat großes Gewicht. Jedoch hat die Selbstvariierung durch verstehende Aneignung keine festgelegte Zeitstruktur. Auch durch Selbstvariierung können Produkte entstehen, die nicht nur ihre, sondern viel Zeit brauchen und ein Beklagen der Schnelllebigkeit und der fehlenden Aufmerksamkeit für alles, was viel Zeit braucht, kann auch in der Selbstvariierung seinen Platz finden. Dennoch geht die Generalisierung des Ästhetischen nicht glatt von der Hand, weil so viele Schnipsel im Internet weder schön, noch überhaupt erwähnenswert sind, was stets und trotz aller Unübersichtlichkeit der Kunstwelt die Voraussetzungen für Kunstwerke waren. Vielleicht bleibt das Ästhetische daher eher eine frühe Form der Selbstvariierung und gibt nur Anreize, diese zu begreifen. (Außerdem hat die Ästhetik natürlich ihre Geschichte und es wäre noch zu klären, welche Ästhetik oder welche Phase der Ästhetik ich meine.)

Zum Schluss fällt mir noch ein weiteres Problem auf. Schon die Selbstverwertung stand unter bestimmten Bedingungen, wie der der ausreichenden Bildung, des emotional-bindungsmäßigen Umfeldes usw. Viel ärger scheint es in dieser Beziehung um die Selbstvariierung zu stehen. Brauchen diese Menschen nicht nicht nur Essen, Trinken, Gesundheit, Technik, Bildung und Liebe, sondern auch noch Zeit, Einkommen und Anerkennung als die positiven Effekte der Selbstverwertung? Ganz unabhängig von der wohl strittigen Frage, ob diese Drei überhaupt als Effekte der Selbstverwertung anzusehen sind, bin ich mir nur in einem sicher. Diese Drei werden auf jeden Fall zur Selbstvarriierung gebraucht, von den weiteren historischen, sozialen und kulturellen Grundlagen einmal ganz abgesehen. In welchem Verhältnis Selbstverwertung und Selbstvariierung zueinenader stehen und stehen können, weiß ich nicht. Ich weiß außerdem nicht, wie die Ressourcen der Selbstvariierung besser bezeichnet und beschrieben werden können. Wir werden sehen.

2 Gedanken zu „Zu Selbstverwertung und Selbstvariierung

  1. Interessante Gedanken. Ich frage mich, ob oder inwiefern der Begriff „Selbstvariierung“ (verstanden als Fähigkeit zur spielerisch-ernsten Aneignung von „Selbstoptionen“) eher die Beschreibung einer zeitgenössischen Selbstwahrnehmung darstellt, oder ob er wirklich ein der Selbstverwertung entgegenzusetzendes Ideal bezeichnen könnte. Gerade die „Postmodernen“ lassen hier häufig offen, ob sie die Tendenzen zur spielerischen Disidentifikation bloß beschreiben und euphorisch begrüßen wollen.

    Ich würde dafür zu werben versuchen, „postmoderne“ Subjektentwürfe (im Sinne beispielsweise einer „Stultitia moderna“) als deskriptive Versuche gleichberechtigt neben eine Kritik der selbstoptimierenden Vernunft zu stellen. So eine Kritik müsste vielleicht versuchen, ein brauchbares Konzept der gelingenden Selbstaneignung zu formulieren. Habe mal etwas ähnliches zu skizzieren versucht:

    http://neonleuchte.blogspot.de/2012/02/lebensspielraume-lebensversaumnisse.html

    1. Nach meinem Eindruck sind die Schwierigkeiten, Selbstvariierung deskripiv zu gebrauchen, recht hoch. Denn wer hat schon Zeit, Geld, Muße etc., um das zu machen? Aber vielleicht sind das auch gar nicht die hinreichenden Bedingungen für Selbstvariierung und ich muss an diesem Konzept in dieser Hinsicht noch mal schrauben. Das ist aber alles eine Frage der Verbreitung der Selbstvariierung, ich bin mir sehr sicher, dass es das tatsächlich gibt und dass das ein Verhältnis zu sich selbst ist, das auch nicht so furchtbar neu ist. Ich denke dabei tatsächlich an die Kunst, an den Roman insbesondere, aber auch die Psychoanalyse.

      Was das Ideal Selbstvariierung betrifft: Es kann sicherlich ein Ideal sein (wie: ‚Versuchen Sie es doch mal mit Selbstvariierung.‘) und dadurch Maßstab von Kritik sein. Bezüglich der Selbstverwertung glaube ich jedoch, ist der Stachel der Unfähigkeit, von Endlichkeit, Krankheit und Tod der Punkt, über den Aufklärung von Nöten ist. Ich finde also auch, dass Selbstvariierung erst Mal in seinen deskriptiven Potentialen ausgeleuchtet werden sollte.

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