Schlagwort: geistiges Eigentum

Neues zum Urheberrecht?

Seit Wochen wogt die Debatte um das Urheberrecht auf und ab. Was wichtig und verständlich ist angesichts der Wahlerfolge der Piratenpartei in den letzten Landeswahlen, des neuerlichen Gerichtsurteils aus Hamburg zum Streit GEMA vs. Youtube und der sich durch das Internet und die Digitalisierung rasch wandelnden Konsumkultur im Bereich künstlerischer Produktionen.

Ich möchte versuchen, mit diesem Text meinen Blick auf diese Debatte zu schärfen. Ich kann nicht alle offenen Fragen stellen, gar sie beantworten. Ich gebe auch keine Argumente für oder gegen Interessen, wie die der Urheber_innen, der Verwertungindustrie, der Konsument_innen oder Prosument_innen. Erst kommt etwas Theorie, etwas Analyse, dann einige Hinweise zur aktuellen Debatte als Kern dieses Einwurfs.

Das Urheberrecht basiert auf dem geistigen Eigentum. Geistiges Eigentum taucht als Begriff immer wieder in juristischen Debatten, gelegentlich auch in philosophischen auf. Das Grundgesetz verankert in der Rechtsordnung nur den generellen Eigentumbegriff im Artikel 14. Dort heißt es in Absatz 1: „Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet.“ Ergänzt wird diese Feststellung in Absatz 2: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Die Gewährleistung des Eigentums stellt ein Schutzrecht dar, das den Eigentümer und die Eigentümerin vor Eingriffen von außen schützen soll. Deutlich spricht das das Bürgerliche Gesetzbuch aus. § 903 BGB: „Der Eigentümer einer Sache kann, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen.“ Man kann also mit einem Brot, Tisch, Auto oder Schrank als Eigentum tun und lassen was man will. Dem sind allerdings (auch juristisch sogenannte) Schranken gesetzt. ‚Das Nähere regelt ein Gesetz‘, dies gilt gerade für das im Grundgesetz festgestellt Eigentum. Was das genau heißt, hängt von der Sache ab, die als Eigentum angesehen wird. Gebäude, Fahrzeuge, Waffen und auch Kunst- oder Kulturprodukte unterliegen bestimmten Regeln ihrer Herstellung und ihres Gebrauchs. Geistiges Eigentum fällt formal unter den generellen Eigtumsbegriff, geistige Werke als Eigentum unterliegen speziellen Regeln, die eben im Urheberrecht formuliert worden sind.

Vom Eigentum heißt es ja, dass sein Gebrauch der Allgemeinheit dienen soll. So wird ein Gegensatz zwischen individueller Eigentümerin und der Allgmeinheit sowie deren Interessen aufgebaut, der gerade in der Urheberrechtsdebatte eine wichtige Rolle spielt. Im frühesten Urheberrecht der neuzeitlichen Geschichte, dem englischen ‚Statue of Anne‘ von 1710, wird dieser Gegensatz noch eher übertüncht. Weil Buchhändler, Drucker und andere Personen Werke von Autoren ohne deren Einstimmung gedruckt, kopiert und verkauft hätten, hätten sie zu ihrem Nachteil gehandelt und zu ihrem und ihrer Familien Ruin beigetragen heißt es dort. Um dies zu verhindern und „for the Encouragement of Learned Men to Compose and Write useful Books“ soll das unberechtigte Kopieren und Verkaufen von Büchern und ähnlichen Druckwerken verboten werden. Urheber_innen sollen also ihr Auskommen sicher haben können und gleichzeitig (oder als Nebeneffekt, oder als eigentlicher Zweck des Mittels Urheber_inneneinkommenssicherung?) sollen nützliche Bücher geschrieben werden. Damit die Gesellschaft einen kulturellen Schatz entfalten kann.

Mit dem gleichen Recht sollen also zwei verschiedene Ziele erreicht werden. Kreative Menschen sollen Geld für ihre Werke erhalten können. Jede Kopie, ungebilligter Verkauf und jede Nachahmung ist Diebstahl. Gleichzeitig soll die kulturelle Produktion dadurch erst ermöglicht oder zumindest stark erleichtert werden. Werke von Kreativen sollen also einerseits von ihnen selbst oder nur mit ihrer Einwilligung (die von ihren pekuniären Interessen nicht unabhängig sein wird) verkauft und verbreitet werden, wodurch eben eine breite Öffentlichkeit in den Genuss dieser Werke kommt. Das klingt einfach und nach einer Versöhnung von individuellem und allgemeinem Interesse, ist es aber leider nicht.

Da wäre zunächst die Technik. Ich lasse die Patente hier ganz außen vor. Handelt es sich um Bücher, Musikaufnahmen, Filme oder Computerpogramme, sie lassen sich zunehmend leicht kopieren und vervielfältigen. Die technische Erleichterung von Kopien hat den deutschen Gesetzgeber schon in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts dazu gebracht, eine sogenannte Schranke im Urheberrecht einzubauen. Privatkopien von Musik auf Cassetten waren seit dem ohne Einwilligung der Urheber_innen erlaubt. Dafür zahlte man für jeden Tonträger eine pauschale und geringe Abgabe, die die GEMA wieder an die Musiker_innen ausschüttet. Ähnlich funktioniert auch die VG-Wort für Autor_innen aller Couleur. Angesichts der noch viel stärkeren Vereinfachung von Kopie und Verbreitung von digitalisierten Werken kommt nun leicht die Idee auf, dass das Urheberrecht noch einmal neue Schranken erhalten soll. Kopieren, und Filesharing sollen genau so ohne Zustimmung der Urheber_innen erlaubt werden, wie Privatkopien im Zeitalter der MC. Über eine angemessene Entschädigung der Künstler_innen wäre dann auch noch zu sprechen.

Bevor ich aber auf Urheber_innen, Verwertungsgesellschaften, Verwertungsindustrie und Konsument_innen/Prosument_innen zu sprechen komme, noch ein kurzer Ausflug. G. W. F. Hegel hat noch gesagt (§§ 65-70 seiner Rechtsphilosophie), dass das geistige Eigentum einerseits natürlich verkäuflich (‚veräußerlich‘) ist, schließlich nimmt es die Form von Büchern, Bildern, Skulpturen usw. an. (Es sei denn, es handelt sich um Religion, Moral etc. Einstellungen kann man nicht handeln.) Es bliebe aber, so Hegel, ‚allgemein‘ Eigentum der kreativen Person, was vor allem bedeutete, dass sein oder ihr Name mit dem Werk verbunden bleiben müsse. Das ist das Plagiatsverbot. Hegel wusste natürlich auch, dass man mit der Hilfe der Werke anderer eigene Werke schafft und dass das auch erlaubt sein muss. Aber der geistige Wert des Werkes, der Teil der Persönlichkeit an oder in ihm, diese Aspekte lassen sich nicht vom Werk trennen. Inzwischen kann aus sachlichen Gründen an dieser Behauptung gezweifelt werden, vollkommen verkehrt scheint mir aber ihre Inanspruchnahme für das Kopierverbot zu sein. Über Kauf und Verkauf von Werken ist in puncto Plagiat nichts gesagt, die ganze Ökonomie der kulturellen Produktion und besonders das finanzielle Auskommen der Kreativen interessiert Hegel herzlich wenig. Aber eine Verbindung zwischen monetärer und ideeller Wertschätzung der Werke von Künstler_innen lässt sich ohne weiteres auch nicht leugnen. Wie sieht es inzwischen konkret damit aus?

Ich rede nun nicht mehr vom Plagiat. Ich rede von kopieren, teilen, rumschicken, up- und downloaden. Zunächst einmal ist doch die Beobachtung interessant, dass eine Debatte um die Bezahlung kultureller Produkte bzw. ihrer Hersteller_innen so intensiv geführt wird. Es geht hier ja nicht um den Welthunger, Waffenexporte oder Atomkraft. Kulturelle Produkte haben ihren Wert, Leute wollen sie herstellen und sie wollen sie konsumieren. Nur auf ein Wie können sich nicht alle Beteiligten einigen. Dafür sind auch zu viele und vor allem zu verschiedene Player im Spiel. Da sind auf Künstler_innen-Seite Newcomer und Etablierte, die ohne und die mit Vertrag, da sind halbwegs wohlhabende Konsument_innen und solche ohne Geld. Da gibt es Leute, die Batman umsonst sehen wollen und solche, die für indonesische Indipendentfilme gerne ein paar Euro berappen. Nicht zu vergessen sind die Verlage, die Kinos, die Konzertveranstalter, Radiostationen, Bibliotheken, vom Staat bezahlte Wissenschaftler_innen und die Blogger_innen und zahllosen Produzent_innen von Remakes und Remixes. Warum sind sie alle auf ihre Art auf das Urheberrecht fixiert? Für sie alle bedeutet es natürlich etwas Unterschiedliches. Das bedeutet es auch in der Tat. Einerseits schützt es die Eigentümerin und den Eigentümer, es regelt damit den Handel mit geistigen Produkten. Aber es macht viel mehr als einen Schutzwall fürs Eigentum zu bilden. Es regelt auch, was mit dem Eigentum an geistigen Werken passieren darf, wie die Erlaubnis zur Privatkopie. Durch das Digital Rights Management, dessen Aushebelung das Urheberrecht verbietet, kann technisch genau bestimmt werden, auf welchen Geräten welche Kopie wie lange abgespielt und ob sie kopiert werden kann. Hier haben die Verwerter ihre Interessen eingebracht. Die Justiz kann aber nicht jede Kopie, jeden Up- und Download kontrollieren, freilich zum Vorteil derjenigen User oder Konsument_innen, die nicht zahlen wollen oder können.

Die von Hegel noch stark gemachte Verknüpfung zwischen Urheber_in und ihrem oder seinem Werk wird vom Urheberrecht nicht wir durch einen Zaun geschützt. Vielmehr regelt das Urheberrecht (als Basis für Nutzungslizenzen), wie die Werke gebraucht werden können. Es bestimmt dadurch einerseits, wer wann welches Geld für diese Nutzung verlangen kann und andererseits den Zugang zu den Werken selbst. Auf diese Weise bildet das Urheberrecht den Rahmen und die Zielscheibe zugleich für alle Konflikte zwischen der Verwertungsindustrie und den User_innen. Die Urheber_innen hängen wiederum an den Verwertungsfirmen dran und beklagen sich, wenn diese, wie Google/Youtube oder kino.to, ihnen kein Stück von ihrem Kuchen überlassen. Noch ein Beispiel: Wenn Sven Regener in seiner sogenannten ‚Wutrede‚ behauptet, dass die GEMA sie seien, also die Künstler_innen, dann stimmt das insofern nicht, als dass die GEMA keineswegs den Handel mit ihren Werken regelt oder sichert. Die GEMA sorgt auch nicht für angemessene Preise ihrer Werke. Vielmehr schüttet sie Geld aus, dass sie in Form von Pauschalbeträgen für die Erlaubnis zur Privatkopie erhalten hat. Also, juristisch gesprochen, über eine Eigentumsschranke. Daher noch einmal: Das Urheberrecht reguliert den Gebrauch von Werken, nicht primär ihren Handel; es schützt nicht die Urheber_innen als Eigentümer_innen ihrer Werke. Es versucht, allgemein-öffentlichen Zugang zu kulturellen Werken mit ihrer ökonomischen Verwertung vor dem Hintergrund der technischen Möglichkeiten irgendwie und stets unvollständig miteinander in Einklang zu bringen.

In zwei Dingen sind sich alle Beteiligten, zumindest auf dem Niveau des Lippenbekenntnisses, einig. Die Urheber_innen müssen erstens ihr Auskommen erhalten, sie müssen vor ökonomischer Ausbeutung geschützt werden. Zweitens muss die Kulturproduktion angekurbelt werden. Nur die Wege, dies zu erreichen, unterscheiden sich stark. Natürlich kostet die Produktion von Hollywoodfilmen, schon die vom Tatort, viel Geld. Ebenso das Lektorieren, Herstellen, Verbreiten und Bekanntmachen von Romanen, die Produktion von Platten, ja selbst die Modelle der Architekten kosten eine Stange Geld. Von den Bauwerken selbst ganz zu schweigen. Um diese Art der Produktion nicht austrocken zu lassen, braucht es die Verwerter, sprich Verlage und Produktionsfirmen. Sie sorgen auch für Kopierschutz und eben eine anständige Bezahlung der Werke. Es stimmt auch, dass diese Verwerter mitnichten im Sinne der unter ihren Verträgen stehenden Kreativen agieren. Diese treten zum Beispiel in der Filmbranche sogar alle Rechte an ihren Werken ab und bekommen vor allem Geld für Fernsehewiederholungen. Die Verwerter blocken aber auch den kostenfreien Zugang zu vielen Filmen und Platten – und Büchern.

Auf der anderen Seite stehen viele Low- oder Zero-Budget Produktionen, die mit mehr oder weniger Herzblut, dafür aber immer ohne Verkaufsinteressen gemacht worden sind. Dazu gehören unzählige Blogs, Flugblätter, Remixe, Neuuntertitelungen von Filmszenen und mit wackeliger Handykamera gedrehte Kurzvideos. Hier wird ohnehin kopiert und geteilt, was das Zeug hält. Das Filesharing Programm Soulseek wurde zum Beispiel von DJs und DJanes mit dem Zweck gegründet, eigene Tracks auszutauschen. Erst später wurde es zu einer Tauschbörse, in der auch mit viel Geld produzierte Musik hin und her kopiert wurde. (Ob das stimmt und was aus Soulseek inzwischen geworden ist, habe ich nicht überprüft.)

Nach meinem Eindruck gerät die Debatte vor allem dann unnötig ins Trudeln, wenn beide Arten der Kulturproduktion vermengt und dann zusammen aufs Urheberrecht bezogen werden. Denn Kulturproduktionen, die viel Geld kosten und einspielen sollen, wird es auf absehbare Zeit ebenso geben, wie die wesentlich jüngere konsumierende Produktion, die mit Geld nur wenig zu tun hat. Große und größere Filme, aufwendige Musikproduktionen und Literatur brauchen Verlage. Das gilt besonders unter dem Aspekt, dass Publikumsverlage mit dem Verkauf einiger weniger Bücher, nämlich der Bestseller, die Bücher finanzieren, die nicht schlechter sind, aber sich weniger verkaufen. Wie sollten letztere sonst überhaupt erscheinen? Ich kann es ebenso verstehen, dass die an der Produktion von Werken Beteiligten ihr Geld haben wollen, wie dass einige Leute diese Produktionen trotzdem umsonst konsumieren wollen. Das ergibt Konflikte, mit denen Blogger_innen gar nicht in Berührung kommen. Das Urheberrecht ist längst auf dem Weg, hier Lösungen zu finden und zwischen dem Recht auf Lizenzenvergabe seitens der Verwerter, dem Anspruch auf Zugang zu den Werken (besonders seitens der Wissenschaft, wenn es um extrem teurer Fachzeitschriften geht) und, nicht zu vergessen, den Datenschutzrechten der Konsument_innen abzuwägen. Das gleiche Urheberrecht ist zwar auch die Basis für alle Lizensierungsmodelle, die vom Geld nicht berührt sind, wie die Creative Common Lizenzen. Aber die ohnehin unentgeldlich arbeitenden Kreativen sind weiter vom Urheberrecht nicht betroffen, die Kulturproduktion der Prosumenten kann sich frei entfalten, wenn es um Bloggerdebatten, Lyrikportale und andere Lowest Budget Produktionen handelt. Anders gesagt, wer seine Werke nicht verwerten will, kann schon heute darauf verzichten. Für die Grenzfälle, wie Remixe aus den aufwendigen und von Verwertern geleiteten Produktionen, den modernen Collagen, wird man fair-use Regelungen finden.

Ich will auch nicht bestreiten, dass die Verwertung von kulturellen Werken aus der aufwendigen Produktion einem enormen Wandel durch Digitalisierung und neue Konsumkulturen unterliegt. Die Musikindustrie hat wohl die Digitalisierung (zunächst) verschlafen, indem sie auf hohe Preise für Tonträger und aggressive Werbung gegen Raubkopien setzte. Dadurch hat die den Weg der Musik raus aus dem Studio auf die Bühne übersehen. Ähnliches könnte den Publikumsverlagen in der Buchbranche blühen. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass das Urheberrecht nicht Urheber_innen und ihre Werke schützt. Vielmehr ist ja in der Diskussion, ob das Urheberrecht auf solche Prozesse regelnd reagieren soll, oder ob es sich zum Schaden der Rechtssicherheit mit fair-use Klauseln aus den Verhandlungen zum angemessenen Gebrauch von leicht digalisierbaren Werken heraushält.

Zwei wichtige Fragen sind aber noch offen geblieben: Was passiert, wenn ideelle und monetäre Wertschätzung von Werken wirklich getrennt werden, wenn das überhaupt möglich ist (a)? Warum sind die sogenannte Netzgemeinde und die Urheberrechtskonservativen an ein und demselben Verständnis von Produktionssteigerung (eben durch Abbau oder Erhalt des Urheberrechts) orientiert)(b)?

ad a) Das Urheberrecht basiert auf dem Begriff des geistigen Eigentums, also auf der Verknüpfung von Urheber_in und ihrem Werk. Ich behaupte nun aber, dass das Urheberrecht diese Verknüpfung nicht (mehr) schützt. Dennoch bestehen Ansprüche an das Urheberrecht, durch anständige Bezahlung von Werken auch den Fleiß, den Mut, die Arbeit, das Herzblut und Engagement usw. der Urheber_innen sicher zu stellen. Die Arbeit in der Kulturproduktion ist teuer und anstrengend und verdient eine entsprechende Wertschätzung. Die Debatte ums Urheberrecht zu einer Debatte um Geld zu machen, ist ein bekannter Schachzug. Ich meine aber, dass wir sie zu einer Debatte um Anerkennung machen müssen. Dazu ein Vorschlag: Aufwendige und teure Produktionen werden ihre Anerkennung immer auch über Geld und über Verkaufszahlen erhalten. Gute Kritiken sprechen zwar ihre eigene Sprache und es kommt sehr oft vor, dass miese Werke oft angeschaut und verkauft werden. Insofern schleichen sich hier Risse und Quetschungen in die Anerkennung ein. Aber die Verquickung von ideeller und monetärer Wertschätzung wird sich in diesen Bereichen (der aufwendigen Produktionen) nicht ohne Weiteres auflösen lassen. Schwierig ist das in den Grenzbereichen, nämlich Werken, die in mühevoller Einzelarbeit entstanden sind, sich aber schlecht verkaufen und die Urheber_innen sich in der Folge durch Kopien beklaut fühlen. In diesen Fällen kann man weder sagen, ‚lasst euch doch auf die Schulter klopfen und es dabei bewenden‘, noch ‚wenn alle Nutzer_innen legal handelten, würden eure Werke weg gehen wie warme Brötchen‘. Vielleicht werden die Urheber_innen in diesen (ziemlich großen) Grenzbereichen von Kunst, Wissenschaft und Essayistik immer mit einem Mangel an Anerkennung leben, vielleicht bietet aber auch die Verbreitung geldloser und kooperativer Kulturproduktion neue Währungen der Anerkennung aus.

Eine weitere Schwierigkeit stellt aber genau diese Low und Zero Budget Kultur dar. ‚Freibiermentalität‘ oder ‚Gratiskultur‘ werden in diesem Bereich geradezu zum Kern der Angelegenheit. Leute produzieren irgendwas, stellen es umsonst zur Verfügung und bisweilen wird nicht nur per organisierter Arbeitsteilung zusammen produziert, sondern auch auf einen Namen, auf eine für das Produkt verantwortliche Person oder Gruppe verzichtet. Street-Art hat es vorgemacht, in vielen Remixes, sogenannten Mash-Ups usw. ist dieses Vorgehen ebenfalls Usus geworden. Dass jemand etwas anderes aus meinem Werk macht ist dann Anerkennung genug, manchmal auch schon die Gewissheit, dass mein Werk oft angesehen wird. Aber müssen das nicht eher kleine Bereiche der Kulturproduktion bleiben? Am Ende steht auch bei Wikipediaartikeln, bei OpenSource Programmen oder über den allermeisten Blogs ein Name einer Person oder Organisation. Pseudonyme sind ohnehin nichts Neues. Dennoch handelt es sich in diesen Bereichen um nicht-kommerzielle Produktion und die Währung der Anerkennung für die Werke besteht darin, dass andere auf sie reagieren, Kommtare eintrudeln, ein Netz von Links und händischen Verweisen entsteht sowie eine Reihe neuer Werke, die ohne die ersteren zumindest anders wären. Ich würde aber zu bedenken geben, dass dies sehr weiche Formen der Anerkennung sind, die nicht jeder Psyche entsprechen, und bei denen Formen der Missachtung (vom Schweigen bis zum sogenannten Shitstorm) immer mit eingerechnet werden müssen. Dennoch habe ich die Hoffnung, dass mit dieser Produduktionsweise eine nicht-kapitalistische im Enstehen begriffen ist.

ad b) Das führt zum letzten Punkt. Auch Kulturproduktion ist kapitalistisch. Das bedeutet, sie ist auf Steigerung und Optimierung ausgelegt und kann sogar ohne nicht lange bestehen. Wertsteigerung (messbar in Geld) und Wissenssteigerung (in der Produktionsweise) sind eingeschlossen. Interessanter Wiese argumentieren sowohl die Verteidiger_innen des bestehenden Urheberrechts, als auch die sogenannte Netzgemeinde, dass mit ihren Vorhaben die Wertsteigerung erst gesichert, wenn nicht gar exorbitant beschleunigt wird. Nun, ich hätte nicht üble Lust zu behaupten, dass die nicht-kommerzielle Kulturproduktion mit Steigerung und Wachstum gar nichts zu tun hat. Seien wir ehrlich, wir freuen uns, wenn die Wirtschaft wächst, die Löhne und Gehälter steigen, wenn wir mehr wissen und dazu lernen; wir haben Probleme mit Dingen, die nicht zu ändern, zu steigern sind, mit Krankheit, Körper und Tod. Natürlich ist der Kapitalismus auch in meinem Kopf und in meiner Seele. Mit der nicht-kommerziellen Produktion könnte etwas Neues entstehen. Ich bin auch überrascht und interessiert zu sehen, wie viele Klicks ‚Sneezing Panda‘ oder Riley mit ihren frühen Einsichten erhält. Aber der Wert solcher Filmchen liegt eigentlich nicht in ihren Klicks, sondern in ihrer Wahrheit. Wahrheiten verändern nämlich die Sicht auf die Welt, auf einen selbst, auf die anderen. Ohne die Wahrheit eines Werkes x wäre die Wahrheit von Werk y anders ausgefallen. Es geht um Präsenz und Wirkung, um Perspektivenverschiebung und Erneuerung unseres immer unvollständigen Verstehens von Menschen und Welt. Vielleicht schiebt sich das eines Tages vor die monetäre Wertschätzung und Verwertung der Werke, auch wenn es keineswegs eine völlig neue Art und Weise subjektiver Orientierung darstellt. Wir sollten also auch über Wirtschaft reden; wir brauchen nicht nur Anreize zu arbeiten und zu produzieren, sondern auch Antriebe. Neugier und Freude an Veränderung sind die ersten Stichworte.

[Ich weiß, Letzteres kann man mir leicht um die Ohren hauen. Ich bitte um treffendere Ausdrücke und Formulierungen.]

Texte, die ich verwendet, aber nicht verlinkt habe:

– Deutscher Bundestag, Drucksache 17/7899, 23. 11. 2011, Dritter Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“

– Martin Grötschel / Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (Hg_innen), Geistiges Eigentum, Reihe Debatte, Heft 7, Berlin 2008

– Rainer Kuhlen, Wissen als Eigentum?

– Berhold Seliger, Schneiden wir den Kuchen neu an, der Freitag, 10. 05. 2012

– Niki Stein, Unter Piraten, FAZ-Online, 19. 04. 2012