Schlagwort: Männlichkeiten

Das abhängige Geschlecht

Als sich im 20. Jahrhundert die Kleinfamilie etablierte, verschoben sich auch die Geschlechterkoordinaten. Manche Geschlechtermythen mögen verdampft sein, dafür rückten Herd und Schürze auf der einen, Aktentasche und akkurater Scheitel auf der anderen Seite in den Vordergrund. Die Ehefrau und Mutter galt von nun an als die abhängige Person, die sowohl finanziell vom Ehemann unterhalten wurde, als auch emotional und psychisch von den Kindern abhing, wenn die Ehe denn Kinder hervor brachte. Stichwort Muttersymbiose. Die Kleinfamilie mag in starkem Maße Schimäre gewesen sein, eine zunehmende Abtrennung einer Kernfamilie von älteren Generationen und ferneren Verwandten konnte aber doch beobachtet werden.

Auf dem kleinkarierten Geschlechtermodell basierend wurde sogleich ein ganzes Bild des weiblichen Geschlechts gezeichnet. Es galt und gilt als emotional so fähig wie anfällig, beziehungs- und sorgeorientiert im Gegensatz zu erfolgs- und politisch orientiert. Die Frau kümmert sich um die Familie, der Mann um die instrumentell geprägten Beziehungen zur Außenwelt und zur öffentlichen Sphäre.

So nimmt es wenig Wunder, dass der ideelle feministische und männlichkeitskritische Dreischritt von der Anerkennung der Härte und Notwendigkeit der Sorgearbeit (care!) über die gegenseitige Ergänzung der Geschlechterrollen und -habitus im Sinne von Intellekt und Gefühle, Geld und Körper, Interessen und Werte für alle bis zur Verschiebung der anthropologischen Matrix zu einem Menschenbild eines prinzipiell von Beziehungen und Abhängigkeiten geprägten im Unterschied zum einsamen, hortenden und Grenzen möglichst bewaffnet schützenden Wesens verlief.

Noch ein Quentchen radikaler – wenn auch vielleicht naheliegend – ist die Behauptung, Männer und insbesondere Väter sind schon jetzt hinter dem Schein ihrer Autonomie das eigentlich abhängige Geschlecht. Hängt doch ihr Familienglück eben von den Tätigkeiten ihrer Frau ab und hat doch die Frau und Mutter ihrer Kinder letztlich die Kontrolle über das Ob und Wie der Geburt des Nachwuchses sowie der Methoden seiner Aufzucht.

Selbstverständlich sind beide Geschlechter (in der Zweiermatrix Frau und Mann) zunächst gleichermaßen aufeinander angewiesen, wenn Nachwuchs gewünscht wird. Auch sind die körperlichen Ausdrücke der Fortpflanzung ähnlich ludize: Menstruation und Ejakulation vermitteln, dass Kinder ohne Einsatz des Körpers nicht entstehen. Im Unterschied zum Samen bleibt zwar der Eisprung von außen unsichtbar, aber dass die Periode mit der Fortpflanzungsfähigkeit der Menschen so viel zu tun hat wie dieser, wussten die Menschen sicher schon immer. Doch der menschliche Körper hinterlässt auch einen rätselhaften Stachel. Woher kommen die Kinder – wie entsteht Leben? Um diese Fragen ranken die Bilder und Ideen der Geschlechter auch wenn biologisch-organisch alles aufgeklärt zu sein scheint.

Gerade in der modernen, kapitalistischen und rationalistischen Zeit zielt die Frage nach den Geschlechtern auf die Unmöglichkeit für das männliche Geschlecht, die Züchtung des Nachwuchses unter Kontrolle zu bekommen. Hat schon der eigene Körper des Mannes seinen Eigensinn und bietet nicht einfach formbar-kontrollierbare Masse, so bleibt der Körper der Partnerin noch stärker der männlichen Verfügung entzogen. Davon mag mann sich noch so unbeeindruckt zeigen: Schwangerschaft, Geburt und frühe Fütterung (bei Brusternährung) des Kindes bleibt in den Händen der Mutter des gemeinsamen Kindes. Schon Simone de Beauvoir hat betont, wie sehr die männlichen Mythen über die Weiblichkeit auf die ‚dunkle Natur‘ der Frau zielen, auf die Herabsetzung der Frau zur ‚bloßen, willenlosen Natur‘, die stets die Gefahr ausstrahlt, ihn zu sich herabzuziehen und zu besudeln. „Empfangen und geboren zu sein ist der Fluch, der auf seinem Schicksal liegt, ist die Unreinheit, die sein Sein befleckt.“ (Das andere Geschlecht, Neuübersetzung 1992, S. 198)

Gleichzeitig kann es nicht bei der männlichen Abwehr gegen ‚das Weibliche‘ bleiben. Ermöglichen die Frauen, und nur die Frauen, den Männern sich über den Wege des Nachwuchses zu entfalten und – in der so existenzialistisch angehauchten wie treffenden Sprache Beauvoirs – sich zu überschreiten. „Die Frau, die den Mann zur Endlichkeit verurteilt, ermöglicht es ihm auch, seine eigenen Grenzen zu überschreiten.“ (S. 200) Hier liegt des Pudels Kern: Nachwuchs wird nicht nur gezeugt, um das materielle und geistige Erbe zu sichern oder weil Babys und Kinder so niedlich sind. Kinder ermöglichen die Überschreitung einer Grenze; wir sehen uns selbst in ihnen, doch nicht nur unsere eigene Kindheit (als Identifikation), sondern auch, wie wir noch hätten sein können. Wir entfalten uns anhand ihrer Entwicklung. Dabei mögen auch Projektionen und reine Wunschbilder eine Rolle spielen (unter deren Druck Kinder erheblich leiden können), aber im gelungeneren Fall wachsen wir selbst ein wenig im Anblick der Persönlichkeiten unserer Kinder.

Zusammengefasst habe ich hier zwei Hypothesen:

  1. Männer sind nach wie vor körperlich abhängig von der Mutter ihrer Kinder, wenn denn Kinder gewünscht werden. Möchte eine Frau ein Kind zeugen, braucht sie zwar den Samen eines Mannes, braucht danach aber keine Sorge zu haben, wie sich das Leben bildet – nämlich unabhängig vom Erzeuger.
  2. Die Zeugung von Nachwuchs bildet eine zentrale Möglichkeit, sich zu überschreiten, zu entfalten, kurz gesagt, zu leben, wenn mit Leben gerade nicht der Erhalt oder die Übertragung von Gütern einerseits oder die Identifikation mit einem starren Bild des Selbst (aus der Vergangenheit) andererseits gemeint ist.

Zwei rohe Überlegungen noch zum Schluss.

  1. Auch ohne den männerrechtlichen und maskulinistischen Überhang wurde schon seit Jahren ein Gender-Backlash beobachtet. Es könnte sein, dass der zunehmende Druck in der Arbeitswelt (ökonomisch, aber auch durch die Aufdeckung der Kleinfamilie als Schimäre: wir wissen inzwischen von patchwork Familien, Alleinerziehenden und verwaisten Kindern) die Möglichkeiten der Selbstentfaltung in der Arbeitswelt eher gedeckelt werden. In dieser, wie auch in der Freizeitindustrie, kommen die Leute nur noch mit viel mehr und kurzlebigerem Wissen im Unterschied zur persönlichen Bildung über die Runden. Um so mehr kommen Bindungen an die Familie und besonders den Nachwuchs in Frage, um nicht praktisch bei sich selbst stehen zu bleiben. Ohne dass sich jedoch in der Welt der Geschlechter Wesentliches getan hätte, trifft nun aber die Menschen die Wucht der körperlichen Abhängigkeit noch direkter. Das macht eine an Idolatrie reichende Orientierung an Geschlechtermodellen attraktiv, faktisch zwar zum Leidwesen der Selbstüberschreitung, aber paradoxer Weise in der Funktion ihres Rettungsankers.
  2. Wie wird die Kleinfamilie/Partnerschaft mit ihren Geschlechtermodellen und -mythen heute gelebt? Für das abhängige Geschlecht gilt im besonderen Maße, dass eine Art Remystifizierung stattfindet. Nach dem Ende der Selbstherrlichkeit des schnäuzigen Familienvaters stehen sich ein tolpatschiger und eingeschüchteter Partner sowie eine tadelnde und ungeduldige Partnerin gegenüber. Auch wenn mann inzwischen im Haushalt mitmacht und auch der Beziehung zu den Kindern nicht entsagt. Moderne Männer bleiben in einem Käfig, einem Käfig aus Unsicherheit, zumindest zeigt sich die Annahme einer nicht selbstherrlichen Lebendigkeit als kompliziert und langwierig.

 

::Edit::

Als Kontrastprogramm empfehle ich diesen Beitrag zum selben Thema von Heinz-Jürgen Voss: ‚Der Mann‘ und Männlichkeiten in ihrer Einbindung in Herrschaftsverhältnisse

Nachtrag zu ‚gute Vaterschaft‘

Nachdem in ‚Gute Vaterschaft‘ der Satz

Die Schwangere steht im Vordergrund, wie es ihr geht, wird von nun an signifikant öfter gefragt.

bereits veröffentlicht war, wurde mir klar, dass er weinerlich klingt oder zumindest nach Gemosere riecht. Dieser Eindruck hätte durch ein hinzugefügtes ‚zu Recht‘ zwar leicht wegediert werden können. Aber ich wollte den Satz so stehen lassen und lieber diesen Nachtrag formulieren.

Natürlich wird zu Recht auch der Freund während einer Schwangerschaft öfter nach dem Befinden der schwangeren Freundin gefragt, als zuvor und als nach seinem Befinden. Männer, behaupte ich nun spontan, sind das nicht gewohnt und schauen sich gehörig um, wenn es so scheint, dass ihr Befinden von dem ihrer Frau/Freundin abhängt. Einen wahren Kern enthält dieser Schein ebenfalls.

Zurück aber zum Gejammere und Geheule. So sagt aufZehenspitzen über die ’neuen Väter‘:

Ich bemühe mich wirklich, eure Probleme zu verstehen, liebe (verhinderte) neue Väter. Aber wenn ich ehrlich bin, außerhalb meines privaten Umfelds, scheren sie mich einen Dreck. Denn ihr lebt eure Ängste auf den Rücken der (eurer) Frauen aus. Ihr drückt euch, wovor Frauen sich nicht drücken können. Ich will eure blöden “ich bin gefangen im Rollenbild”-Ausreden nicht mehr hören. Und auch nichts von Männlichkeitsverlustängsten. Oder, dass der Job dann drunter leidet oder eben die Finanzen. Woohoo! Denkt ihr, das ist neu für Frauen, die Mütter sind oder werden wollen? Merkt ihr nicht, dass ihr eine Wahl habt und wir noch immer nicht?

Solches Gejammere nervt in der Tat, insbesondere wenn Vater gewordene Männer sich darüber beschweren, dass es ihnen schwer fällt, zwischen Familie und Beruf zu entscheiden. Als ob das tatsächlich eine Entweder-Oder-Frage wäre. Als ob die Väter keinen Gestaltungsspielraum gegenüber ihren Arbeitgebern oder in ihrem Berufsleben hätten. Als ob tatsächlich Rollenbilder Menschen gefangen nehmen können.

Das enthebt die Männer jedoch nicht, ihre Identitätskrise wirklich durch zu leben zu arbeiten. Wenn es sich schon langsam (viel zu langsam) heraus schält, dass das klassische Rollenbild des abwesenden Geldjägers und Versorgers nicht mehr gelebt werden kann, weil die Mütter auf ihre Rechte pochen und die Väter entdecken, welchen persönlichen Reichtum sie aus einer gute Beziehung zu Frau und Kindern schöpfen können, dann brauchen die Väter neue Entwürfe – gar Utopien? – für das Zusammenleben. Vermutlich bleibt das auch aus feministischer Sicht nicht ganz schnuppe.

Vor allem jedoch sprechen die Tatsachen dagegen, sich als Vater und Mann irgendwelchen finsteren gesellschaftlichen Mächten ausgeliefert zu sehen, den Feministinnen oder einem untätigen Vater Staat. Solche Passivität führt geradewegs in männerrechtliche Gefilde. Online, gerne auf Spiegel-Online, wird gejammert und geunkt, angegriffen und gepöbelt, aber die wichtigen Aufgaben bleiben liegen.

Welche Vaterrolle wird künftig an Ansehen gewinnen und sich durchsetzen? Angenommen, das Begehren der Väter richtet sich auf mehr, als auf Büro, Bankkonto, Auto, Fußballverein und den sonntäglichen Beischlaf, dann wirkt das Begehren auf Kinder, Frau/Freundin, vielleicht Geliebte_n, Spaziergänge, Müßiggang und (Selbst)Gestaltung zunächst verwirrend. Wie soll ich das alles auch noch unter meinen Hut bekommen? Aber irgendwie werden die neuen Väter auch dort wieder Stabilität generieren können. Jeder für sich selbst.

Wie machen das eigentlich alleinerziehende Väter? Und schwule Väter? Mit einer besseren Vernetzung könnten ‚wir‘ uns sicher das eine oder andere Nützliche abschauen.

Gute Vaterschaft

Ein solcher Titel verspricht mehr, als der Text einlösen kann. Was ich mir unter einer guten Vaterschaft vorstelle, weiß ich noch nicht. Mein zweites Kind kommt bald zur Welt, mein erstes starb mit dreieinhalb Monaten. Viele Vater-Erfahrungen kann ich nicht vorweg nehmen.

Während der zweiten Schwangerschaft meiner Freundin fielen mir Eigenschaften und Reaktionsweisen an mir selbst auf, die mir neu waren. Bei der ersten Schwangerschaft lag mein Fokus auf der seltsamen und bisweilen fragwürdigen Behandlung, die meine Freundin durch Ärzte, Ärztinnen und Hebammen erfuhr. Jetzt musste ich mir darüber klar werden, wie sehr ich entgegen aller guten Vorsätze vermied, die Vaterrolle selbst zu prägen. Wie prägen sie andere Männer?

Väter wie Malte Welding und Rochus Wolff haben von den ‚modernen‘ Anforderungen an ihre Vaterschaft erzählt. Während Welding Fragen stellt: mache ich alles richtig, kann ich es gar perfekt machen, so dass mein Kind gesund (über)lebt? Konvergieren Realitäten wie Lohnarbeit und Mietzahlungen mit den aktuellen Kindererziehungsmethoden à la ‚zurück zum 24-Stunden-Tragetuch‘?; empfiehlt Wolff

Auch Männer müssen sagen: Ich will Zeit für meine Kinder haben. Wir Männer müssen endlich kapieren, dass man Erwerbs- und Reproduktionsarbeit auch paritätisch teilen kann und dass es unglaublich bereichernd ist, viel Zeit mit unseren Kindern verbringen zu können: Es macht uns zu vollständigeren, glücklicheren Menschen.

— Geärgert habe ich mich über Thomas Gesterkamps Erläuterung der Vätertypen. Alle Typen sind gut, auch wenn sich die einen um Kind und Familie sorgen, die anderen lieber im Hobbykeller verschwinden. So war die Postmoderne nicht gemeint.

Zumindest eins steht fest, die Vaterschaft beginnt mit der Schwangerschaft und wird vielleicht auch schon in dieser Zeit entscheidend geprägt. Wie sich der Vater zur Schwangeren verhält, so wird in etwa auch die Vaterschaft aussehen. Zugewandt oder abgewandt, ängstlich und neugierig, mehr verspielt oder mehr ernst. Die Aufteilung von Berufs- und Hausarbeit spielt hier zwar eine entscheidende Rolle, sagt aber nicht alles aus. Auch wer als Vater und Mann kräftig im Haushalt mithilft, kann sich emotional verantwortungslos fühlen, unter- oder überlegen.

Mit einer Schwangerschaft kommt ein Mann vielleicht zum ersten Man an einen Punkt der wirklichen Ohnmachtsgefühle in seinem Leben. Wenn ich vor allem mich selbst richtig beobachtet habe, geht es nicht so sehr darum, dass die Schwangere letztlich die Kontrolle über das Baby hat. Das stimmt zwar, trifft aber nicht den Kern der Ohnmacht. Da muss der werdende Vater zusehen, wie die Schwangere, wenn denn der Bauch wächst, unverschämt und ungeniert angeglotzt wird, und hat Glück, wenn sie sich zur Wehr zu setzen weiß. Da gibt es all die ärztliche Kontrolle, ein Arbeitsverbot für Kindergärten (wegen der Infektionsgefahr für die Schwangere und das Kind) und eine sich verändernde Perspektive aller Verwandten und Freunde auf die Paarbeziehung. Die Schwangere steht im Vordergrund, wie es ihr geht, wird von nun an signifikant öfter gefragt. Zu diesen Reaktionen der anderen gesellen sich innere Reaktionen des Vaters.

So kann der Vater die mal mehr, mal weniger intensiv auftretenden Schwangerschaftssymptome zu lindern helfen, mehr aber nicht. Alleine das macht ohnmächtig, dazu kommt der Eindruck, den es hinterlässt, in Sachen Kindergebären auf Frauen angewiesen zu sein. Nur die Mutter kann Kinder bekommen, der Vater kann das nicht. Wenn ein Junge in einer Mutter-Vater-Kinder-Familie aufgewachsen ist, wird ihn dieses Wissen schwer beeindrucken. Daher kommt der Begriff ‚womb envy‘ (z.B. bei Catherine Silver oder bei Eva Kittay im Buch „Joyce Trebilcot (Ed.), Mothering, 1984“), der Neid der Männer auf die Fähigkeit der Frauen, in ihrem Körper lebendige Menschen heranwachsen zu lassen, sie zu gebären und in der ersten Zeit zu nähren. Nicht zufällig haben sich einige radikale Feministinnen, wie Shulamith Firestone, für eine Entwicklung künstlicher Reproduktion der Menschen ausgesprochen, um das Feld der Geschlechter verlassen zu können, denn dieser Neid der Männer bildet die Basis für Ohnmachtsgefühle, Ängste, Aggressionen und Gewalt gegenüber Frauen.

Solche Vermutungen mögen reichlich abstrakt klingen, nach natürlichen Gesetzen, wo es doch um Handlungsspielräume geht, oder nach unbeweisbarer Spekulation. Auf den Boden des Gebärneides wird der Vater jedoch gesetzt, wenn er zum ersten Mal den dringenden Wunsch verspürt, die bedürftige Schwangere im Regen stehen zu lassen und bei Übelkeit, Schmerzen und einem Satz wie ‚trägst du mir mal den Rechner rüber‘ das grummelige ’stell dich nicht so an‘ gerade noch für sich behält. Ich bin der Meinung, dass der Stolz des Vaters, seine Freude über das Kind erst dann richtig zur Geltung kommen können, wenn auch diese Seiten seiner Gefühlswelt gewürdigt werden.

Das bisweilen mühsam aufgebaute Kartenhaus der Autonomie in der Beziehung beginnt kräftig zu schwanken, wenn der Vater von anderen mehr als der Freund / Mann / Begleiter der Schwangeren gesehen wird, das Befinden der Schwangeren mehr zu zählen scheint als seines, er der Schwangeren in unangenehmen Situationen beistehen möchte und ihr manche täglichen Gänge abnimmt. Wo bin ich, wenn ich für sie da bin? Leidet der Vater unter einem Gefühl des Machtverlustes oder lernt er dazu? Auf diese Situation reagieren verschiedene Väter natürlich ganz verschieden und bereiten sich dementsprechend auf unterschiedliche Varianten ihrer Vaterschaft, also der Sorge um ein Kind vor.

Für mich war und ist es eine beeindruckende und nicht ganz verarbeitete Erfahrung, durch die Aufmerksamkeit für meine Nächsten die (imaginierte) Fähigkeit zu verlieren, alles machen zu können. Manches an Gewohnheiten, Hobbys und Interessen muss hinten an stehen. Der Vater kann sich nicht einfach in den Hobbykeller zurück ziehen, um Kraft für seine Liebsten zu sammeln – so ein gängiges Märchen -, und er kann das Familienglück auch nicht als Kompensation für den Verlust der Befriedigung seiner Ego-Interessen betrachten. Nicht nur das Bild des Mannes als Herrscher über die Familie, als Tonangeber bröckelt (seit Jahrzehnten), sondern auch das Bild als Vater, Partner, Berufsausübender, Freund im Freundeskreis und Freizeitgenießer in einem wird auf eine harte Probe gestellt. Schon mit der Schwangerschaft werden Zeit und Energie an die Schwangere und das Baby gebunden. Hinzu kommt die Erfahrung des für den Mann Unerfahrbaren: Wie kann meine Partnerin das Kind wachsen lassen und gebären?

Wenn das kein schönes Beispiel für die Potenz von Machtverschiebungen abgibt.

Ich betrachte diese Bemerkungen als einen Hintergrund für weitere Texte, in denen ich einzelne Aspekte herausgreife und unter die Lupe nehme, angereichert mit denen neuen Erfahrungen, die da kommen werden. Vorläufig bleibt das Fazit, dass die Schwangerschaft meiner Freundin auch mich und mein Bild von mir verändert hat. Als Vater bin ich in hohem Maße von der Mutter abhängig und kann versuchen, diese Erfahrungen so in das Bild, das ich von Beziehungen habe, einzubauen, dass sie nicht als Machtverlust gilt, sondern als produktive Verschiebung meiner Prioritäten.

[Edit: ] Hier findet ihr einen Nachtrag.

Männerfantasien

Nein, leider geht es hier nicht um das großartige Buch von K. Theweleit. Ich frage mich zwar schon länger, warum er nicht auch ‚Mein Kampf‘ in seinen seinen nicht gerade kurzen Bänden auseinander genommmen hat. Aber das gehört woanders hin.

Vor ein paar Wochen hörte ich einen Vortrag. Es ging um Technologie, um Programmieren genauer gesagt. Irgendjemand hatte in einer Firma eine neue Technik entwickelt. So weit ich es begriffen habe, ging es um Datenverwaltung und -bearbeitung. Ich hörte dem Vortrag interessiert zu, der Vortragende machte eine gute Show und strahlte Kompetenz aus. Ich war und bin neu auf diesem Gebiet, daher versuchte ich einfach, so viel wie möglich zu verstehen.

Für das Folgende: Triggerwarnung!

Mitten in seinem Vortrag meinte dieser Herr nun, er müsse einen rape joke reißen. Es ging um Objekte und ob er mit seinem Programm diese Objekte manipuliert hatte. (Objekte sind in der Programmierwelt Repräsentanten eines bestimmten Datentyps, nämlich des Typs ‚Objekt‘, nicht einfach irgend welche Dinge.) Eine Sache, die sehr gut ohne einen Hinweis auf Vergewaltigungen auskäme. Er erzählte, dass sie die in Frage stehenden Objekte durchaus stark verändert hätten:

we raped the shit out of them.

Glücklicher Weise wurde ihm sofort der Hinweis gegeben, dass dies kein Ort für rape jokes sei. Wohlgemerkt, diesen Witz hatte er sogar auf seinen PowerPoint-Folien festgehalten. Für alle gut lesbar. Daraufhin versicherte er, dass dies der einzige Witz dieser Art in seinem Vortrag sei und man versicherte ihm, dass er sich keine Sorgen machen, aber bitte keinen Zweiten reißen solle.

Durch diese Situation wurde die bis dahin amüsierte Stimmung deutlich kühler und der Vortrag endete mit wesentlich weniger Lachern, als er begann. Um Missverständnissen vorzubeugen: Der Vortragende wirkte auf mich wie jemand, der Vergewaltigungen ablehnt und verabscheut, er schien loyal mit seiner Kollegin zusammen zu arbeiten und er sollte klug und gebildet genug sein, um auf Nachfrage Vergewaltigungen moralisch zu verurteilen. Dieser Witz gehörte einfach zu seinen Showeinlagen und er hätte niemals damit gerechnet, plötzlich auf Abelehnung statt Gelächter zu stoßen.

Für mich war mit diesem Witz jegliche Konzentration dahin, ich überlegte den Rest der Zeit des Vortrages, warum er wohl diesen Witz gemacht und sogar an die Wand projiziert hatte. Eine sowohl unterhaltsame wie interessante Situation war völlig zerstört worden und wich Empörung, Wut und Verstörung.

Warum hatte er nun diesen Witz gemacht? Natürlich sind der Witz und der ihn riss Teil der rape culture. Vergewaltigungen erscheinen als normal, möglicher Weise geächtet, aber doch eher als keinere Verfehlungen einer nur im Idealfall gewaltlos funktionierenden männlichen Sexualität, die sich nun mal nimmt, was sie braucht. Es stimmt auch, dass wohl kaum eine Frau* diesen Witz als Unterhaltungsmoment in ihren* Vortrag eingebaut hätte. Gegenrezepte, wie die Entdeckung einer gebenden und empfangenden männlichen Sexualität durch die Männer, sowie der Öffnung der Männer für die Freude an der eigenen Lust und dadurch der Achtung für die Lust und die Unlust der anderen und besonders der Frauen liegen nicht falsch. Dennoch kam ich in Gedanken nicht von der Situation des Vortrags los.

Der rape joke hatte nicht nur die ganze Atmosphäre kaputt gemacht, auch der Typ, der den Vortrag hielt, sank sofort Meilenweit in meiner Achtung. Er hatte dem Vortrag und der Situation jegliche menschliche Angenehmheit genommen. Auch das Thema war mit einem Mal völlig unwichtig geworden. Ich würde nicht salbungsvoll sagen, dieser Witz sei gegen die Menschlichkeit gerichtet gewesen. Er drückte durch seine Akzeptanz der ebenso latenten wie stabilen Vergewaltigungsdrohung gegenüber Frauen eine Verachtung aus, die das zusammen Arbeiten und gemeinsame Zeit Genießen zerstörte. So frappierend ich den beißenden Widerspruch zwischen dem Witz und dem (vermutlichen) ethischen Kodex seines Sprechers fand, noch mehr beeindruckte mich seine unausweichliche, destruktive Kraft.

Bis aber die Mehrheit der Männer es für nötig befindet, sich gegen die Zerstörungen der männlichen Kultur zu wehren, werden wohl leider noch viele, viele rape jokes gerissen werden.

Männer und Feminismus

Anlässlich eines neuen Werbeplakats der Sportschau möchte ich ein paar Gedanken zu Feminismus von und für Männer formulieren. Auf dem Plakat, das in Knetcomicoptik erscheint, sind ein Mann und eine Frau zu sehen. Der Mann steht mit Glubschaugen vor der Frau, die oben nur einen BH trägt, dessen Körbchen wie Fußbälle aussehen. Auf diese glozt er ungeniert – darüber steht: „Männer sind so.“ (Vielleicht in etwas anderen Worten.)

Beim Anblick dieses Plakates stiegen sofort Wut, Ekel und Abneigung in mir auf. Ich will gar nicht ausschließen, dass ein Teil des Ekels auf verdrängter Lust beruht, die mir sowohl Fußball, als auch halbnackte Frauenkörper bereiten können. Der größere Teil des Ärgers bezieht sich jedoch auf das Verhältnis zwischen den beiden Geschlechtern, wie es auf diesem Plakat repräsentiert wird. Auf Nachfrage wurde mir auch klar, dass mein erster Gedanke keineswegs ‚die armen Frauen‘ war. Mir geht es um die Männer und die männliche Kultur. (Mit dem Ausdruck Kultur meine ich menschliche und zwischenmenschliche Praktiken, die teils bewusst, teils unbewusst ausgeübt werden, die aber zumindest die Schwelle von der zufälligen Erscheinung zur Einübung und zur Möglichkeit der symbolisch-sprachlichen Repräsentation überschritten haben.)

Einerseits kann eine Kultur, in der ein Teil der Menschen so offensichtlich weniger wert und leicht objektivierbar ist, selbst nur wenig wert sein. Diese Kultur der Entmenschlichung und Entwürdigung wird durch solche Plakate noch stärker zur Normalität, als sie ohnehin schon ist. Ein hoher Anteil der Männer und ein vielleicht nicht viel geringerer Anteil der Frauen, die dieses Plakat sehen, mögen denken, dass es ja in Ordnung ist, wenn die Männer Samstags um 18 Uhr nur noch das Eine im Kopf haben. Sind die Männer vom Fußball aufgeregt, haben sie eine recht weite Distanz zwischen sich und die Frauen gebracht, aus der heraus letztere ganz herrlich zu Sexobjekten gemacht werden können.

Dieses Plakat gehört also zum verbreiteten Gender-Backlash, der ohnehin eng mit dem Fußball als Domäne männliche geprägten Breiten- und Profisports verbunden ist. Andererseits, was bedeutet ein solches Plakat konkret für die Männer?

Natürlich interessiert sich nur ein Anteil aller Männer überhaupt für Fußball, ein Teil dieser Männer wiederum liebt Männer oder Frauen und Männer, ein Teil ist *Trans und ein weiterer Teil leidet unter Entwürdigungen und Degradierung, weil die Hautfarbe oder die Religion oder die körperliche Tüchtigkeit nicht zu seiner Umgebung und vor allem nicht zur dominanten Kultur passt. Will sagen, auch Männer sind äußerst verschieden. Aber wenn ich mich auf das Verhältnis von Männern zu Frauen konzentrieren will, helfen diese nur vordergründig inkludierend wirkenden Hinweise wenig.

Betrachte ich dieses Verhältnis vor dem Hintergrund der patriarchalen Alltagskultur stellen sich mir drei Fragen. (Nicht dass das alle möglichen wären, aber jetzt gerade kommen sie mir in den Sinn.) Mich interessieren dabei in erster Linie die Männer. Warum akzeptieren Männer die sexistische Kultur (a)? Leiden sie unterm Patriarchat (b)? Können Männer Feministen werden (c)?

Als Denkanstoß vergleiche auch Die Männer und das Patriarchat von Antje Schrupp.

a) Diese Frage klingt merkwürdig. Auf den ersten Blick akzeptieren die Männer diese Kultur nicht, sie stellen sie her und bewahren sie, weil sie auf die patriarchale Dividende nicht verzichten können. Diese Dividende besteht nicht unbedingt in besserem Essen, mehr Freizeitmöglichkeiten, mehr Befriedigung beim Sex, mehr Einkommen, besserer Gesundheitsversorgung usw. Diese Dividende besteht vor allem darin, dass, verkürzt gesagt, die Welt für die Männer viel einfacher gestaltet ist, als für die Frauen – eben männlich. Was die Männer wissen, gilt als Wissen; was die Männer sexy finden, gilt als sexy; was Männer als richtigem Sport definieren, gilt als Sport. (Ich denke an die Schilderungen von H.D. in ihrem Roman HERmione.) Zum Beispiel sieht der Karriereweg so aus, dass sich mann von Job zu Job hangelt, am besten gespickt mit Aus- und Weiterbildungen sowie jeweiligen Aufstiegschancen. Eine Schwangerschaft kommt darin nicht vor und gilt daher für jede Karriere als Belastung. Für Männer stellt sich die Frage nicht, was ist mit meinem Job, wenn ich ein Kind erwarte? Nun, das alles steht nicht (wie als gute Gründe) hinter der sexistischen Alltagskultur, sondern sie besteht genau in diesen Phänomenen. So könnte von ihrer ‚Akzeptanz‘ gar nicht gesprochen werden, weil die Männer immer vom Patriarchat profitieren. Es gibt in der Männerwelt jedoch einen Stachel, der nicht gezogen werden kann. Aus dieser Welt wird ihr Gegenüber, die weibliche Welt, konsequent herausgedrängt, herabgewürdigt und abgeblendet, aber dennoch präsent gehalten. Die Frauen werden sozusagen durch projektive Bilder ersetzt. Es mag schon kein (heterosexueller) Mann ohne ein Bild von der Frau zurecht kommen, die männliche Welt braucht auf jeden Fall den blassen Hintergrund weiblicher Beziehungs-, Haus- und Erziehungsarbeit. Kant zum Beispiel brauchte die Welt der weiblichen Romane, gegen die der Vernunft gestellt. Liegt in dieser Trennung und Verkennung nicht ein Verlust für die männliche Welt, unter dem auch die Männer leiden?

b) Ich würde nicht sagen, dass Männer unter dem Patriarchat leiden. Besonders heterosexuelle Männer mögen darunter leiden, dass ihre ernsteren Beziehungen zu Frauen immer wieder scheitern. Viele Männer mögen unter Schuld und Schuldgefühlen leiden, weil sie die patriarchale Dividende einstreichen, während die Frauen unterdrückt und benutzt bleiben. Schließlich leiden gerade profeministische Männer an der Unsicherheit, sich in der männlichen Welt richtig verhalten zu wollen, aber nicht zu wissen wie. Aber das Wort leiden trägt nach meinem Verständnis so gut wie immer die Konnotation der Passivität, des Ertragens. Das trifft besonders dann zu, wenn Feministinnen wie feministisch geschulte Männer von Geschlechterstrukturen sprechen, die die Individuen unterdrücken würden. Damit kommt ein Aspekt der patriarchalen Kultur voll zum Tragen. Passivität hat ja oft eine weibliche, Aktivität eine männliche Konnotation. Das bedeutet, die leidenen Männer werden zu Frauen oder erklären sich zu solchen und alle Beteiligten finden diesen Zustand unerträglich. Deshalb würde ich sagen, dass wenn die Männer schon unter dem Patriarchat leiden sollten, dann müssen sie dieses Leid auch selbst tragen und können es nicht zu den Frauen deligieren. Besser wäre es sogar, direkt von den Gefühlen zu sprechen, die das Patriarchat bei Männern auslösen kann: Unsicherheit, Schuldgefühle, Selbstwertverluste. Solche Gefühle können zwar nicht einfach aufgelöst und sollten nicht verdrängt werden, aber die Männer können sie in eine Spannung zu ihren Wünschen nach Nähe, Einfühlung (durch sie, nicht nur für sie) und Achtung der Anderen bringen.

c) Das bringt mich zu der Frage, ob Männer überhaupt Feministen werden können. Hier finde ich, haben mehrere Sichtweisen ihre Berechtigung, die sich aber teilweise widersprechen. Einerseits können sie es, indem sie sich mit der Welt der Frauen beschäftigen, also feministische Literatur lesen, den zornigen Feministinnen zuhören oder einfach ihren Freundinnen. Sie können sich mit der Problamtik auseinandersetzen, wie es wäre, wenn ich permanent abschätzende Blicke von unbekannten Personen erhalten würde. (Das Problem besteht nicht darin, dass Menschen andere Menschen zu ihren Sexobjekten machen, sondern dass dies immer auf männliche Weise geschieht. Dadurch werden fast nur Frauen zu Sexobjekten und sie müssen sich dabei in ihrer Sexualität und ihrem Körperbild dem unterordnen, was den Mann erregt.) Dem Versuch, Männer so zu Feministen zu machen, stehen aber zwei verschiedene Einwände entgegen. Einerseits liegt in dieser Beschäftigung mit weiblichen Erfahrungen immer die Gefahr der Essentialisierung des Weiblichen. Gerade wenn allen Menschen, auch den Männern, die weibliche Welt (weibliche Sicht auf Arbeit, Beziehungen und Moral) nahe gebracht werden, erzeugt das eine Zementierung der Geschlechterverhältnisse, wie wir sie kennen. Das Problem, so diese Kritik weiter, liegt nicht in mangelnder Aufmerksamkeit für das Weibliche, sondern an der Unterscheidung von Mann und Frau (und im hinter ihr liegenden Tabu der Homosexualität). Anders gesagt, immer wenn wir glauben, die Frau verstanden zu haben, entfleucht sie uns wieder und gibt ein anderes Bild von sich – die arme Frau, die schwarze Frau, die lesbische Frau. Aus dieser Not sollten wir eine Tugend machen und uns auf das Spiel der steten Wandlung und Verschiebung der Bedeutung des Ausdrucks Frau einlassen. Wie Kathy Ferguson in „The Man Question“ würde ich jedoch davon ausgehen, dass hier noch kein echter Widerspruch lauert. Vor Essentialisierng sei gewarnt, andere zu verstehen heißt, sie immer an ihrer eigenen Neudeutung zu beteiligen. Ein echtes Problem taucht auf, wenn die Beschäftigung mit den Erfahrungen der Frauen im Patriarchat zum Umweg zu den eigenen Erfahrungen und Gefühlen der Männer gerät. Wenn ein Mann sagt, ‚ich fühle mich schlecht, wenn/weil du wütend bist‘, ist dieser Punkt erreicht. Die Wut und der Ärger der Feministinnen dient dann nur als Spiegel der männlichen Seele, macht Frauen erneut zu ihrem Instrument und verstärkt die Vermutung, dass weder jene Frauen ihren Ärger, noch die Männer ihre Gefühle selbst (er)tragen könnten. Dagegen einerseits und gegen die mögliche Selbstzufriedenheit der Beschäftigung mit den ganz eigenen Gefühlen andererseits hilft wohl nur ein Hin- und Herspringen zwischen der Betrachtung des männlichen Selbst und der weiblich-feministischen Welt. Das hilft besonders dann, wenn die Unterstellung einer egalitären Versöhnung zwischen den Geschlechtern zurück gewiesen werden soll. Das Patriarchat zerfällt gegenwärtig nicht und die Suche nach Wegen, die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen, bleibt noch ein Weile.

Gender, Verstehen und ein Recht auf Eigenwilligkeit

Vor ein paar Wochen habe ich versucht, meine Gedanken zu Gender und Männlichkeiten etwas zu ordnen. Es gelang mit nicht recht und ich gebe es jetzt auf, hier eine breite Theoriereflexion anzubieten. Statt dessen habe ich zwei Gedanken aufgeschrieben, die vielleicht am ehesten als meine Fragen (in Auswahl) zu charakterisieren wären. Ich freue mich über kreative Kommentare.

1. Einerseits versuchen linke Genderkritiker_innen zu Recht, das Geschlecht zu zerstören (Your Gender: male?, female?, fuck you!), denn wer genderd in dieser Welt? Die Männer. Sie geben Frauen ein Geschlecht und generieren (sowie rechtfertigen) auf diese Weise eine ganze Reihe von Unterdrückungs- und Kontrollmechanismen. Männer haben das Konzept der Zweigeschlechtlichkeit erfunden, um Frauen von sich abhängig zu machen, denn Gender hängt nicht an der Zahl ‚Zwei‘, sondern an der Angewiesenheit der reproduzierenden Frauen auf die Lebensmittel beschaffenden und im öffentlichen Verkehr stehenden Männer. Aber: Männer mögen Frauen, Homo-, Trans- und Intersexuellen ein Geschlecht geben, sich selbst geben sie es nicht. Die Zerstörung des Konzepts Geschlecht wenden Männer konsequent auf sich an, sie begreifen und fühlen sich als vollkommene, befähigte und unabhängige Wesen. Den Preis dafür zahlen alle, die unfähiger und abhängiger als die Männer erscheinen (und sich selbst so kennen lernen), diejenigen mit den Eigenschaften schwächer, dümmer, weniger verständig und weniger kämpferisch. Ich werde den Verdacht nicht los, dass auch bei der Zerstörung des Geschlechts das Geschlecht immer mitgeschleift wird; aus dem Unbewussten (und sei es als Schimmer der Vergangenheit) wieder auftaucht, in Form von renitenten Elementen der Gesellschaft, die ihr Geschlecht nicht ablegen wollen, oder anstelle der Unterscheidung von Mir und Dir als Unterschied im Individuum selbst, nämlich als Unterschied zwischen dem ganzen bzw. perfekten und dem unvollständigen bzw. bedürftigen Menschen.

2. Eine ganz andere Schwierigkeit taucht auf, wenn ich versuche, andere zu verstehen. Vielleicht auch das Andere. Ob Männer Frauen verstehen wollen, Nicht-Jüd_innen die Jüd_innen, weiße nicht-weiße oder heterosexuelle nicht-heterosexuelle und homosexuelle Menschen; die Sache bleibt ambivalent. Wie schon Verena Stefan in ihrem Buch „Häutungen“ die Protagonistin sich fragen lässt, warum ihr Freund nie ein feministisches Buch auch nur ansehen würde, liegt darin auch der Vorwurf, Männer interessieren sich eben nicht für die Welt der Frauen. Für ihre Wahrnehmung, ihr Erleben und ihre Sicht auf sich selbst und auf sie, die Männer. Diese Ignoranz gehört zum (linken) patriarchalen Komplex, zum Glaube, die Frauen könnten keine Meinung von Gewicht haben und keine interessanten Themen aufbringen. Daher dient das Verstehen der anderen Seite, fest gezimmerte Grenzen zu überschreiten und Machtgefüge ins Wanken zu bringen. Wird diesem Ansatz unterstellt, ‚die andere Seite‘ würde durch die Behauptung dieser Grenze erst essentialisiert und auf diese Weise eine Praxis der Herstellung der Andersheit vollzogen, dann halte ich das für vorschnell. Denn die Forderung der Frauen an die Männer, sich einmal mit ihnen und dem Feminismus zu beschäftigen, rührt keineswegs aus dem Impuls, Frau sein zu dürfen und bleiben zu wollen. Was immer das heißen sollte. Auch Verena Stefan betont in einem neueren Interview, dass sie nicht Frau, sondern Mensch sein will und wollte, also Nachts alleine spazieren gehen oder alleine reisen.

Das Problem liegt im Geheimnis der anderen und im Versuch, jedes Geheimnis zu lüften, also der männlichen Art zu forschen. Ich muss dabei nicht nur an Donna Haraways wunderbaren Artikel „Teddy Bear Patriary“ (Nicholas Dirks, Geoff Eley, Sherry Ortner (Eds.), Culture / Power / History, 1994, S. 49-95) denken. Haraway analysiert dort, wie Männer die Kreaturen, für die sie sich interessieren (in diesem Fall Gorrilas), erlegen und ausstopfen müssen, um sie erforschen zu können.

Ich denke auch an einen kurzen Wortwechsel mit meiner Freundin. Auf meinem Schreibtisch lag „Der gemachte Mann“ von R. Connell. Mit Blick auf dieses Buch sagte sie, sie würde es gerne lesen, worauf ich antwortete, das ginge sie gar nichts an. Sie dazu sinngemäß: ‚Da kannst du mal sehen, wie unangenehm es ist, immer so beforscht und präsentiert zu werden.‘ Das hat mich auf einen Gedanken gebracht. Die Veröffentlichung von letztlich sehr intimen Gefühlswelten, gerade wenn es um Unterdrückung und Entwürdigung geht, hat ihre notwendigen Seiten. Wie gesagt, Ignoranz gegenüber den Opfern, den weniger Privilegierten gehört oft zum System der Unterdrückung. Also sollten sich gerade Privilegierte mit der anderen Seite beschäftigen. Aber diese Veröffentlichung macht auch doppelt verletzlich. Ich meine gar nicht so sehr all der Spam und Shitstorm, der als Reaktion folgen kann. Auch wenn ich versuche, die Geschichte und Sichtweise der anderen sehr verantwortungsvoll wahrzunehmen (Eine Handlungsanweisung dazu findet sich hier), wird garantiert etwas davon ‚auf dem Weg zu mir‘ verloren gehen, von mir umgedeutet werden, abgeschwächt oder aufgewertet, jedenfalls anders als gemeint ankommen. Diesem Risiko müssten Männer sich erst Mal aussetzen können, daher meine Reaktion auf den Wunsch einer Frau, „Der gemachte Mann“ lesen zu wollen. (‚Um Gottes Willen, kann ich dann nicht missverstanden werden?‘) Wie viel Correctness und Moral auch immer diesem Risiko entgegen gesetzt wird, es lässt sich, glaube ich, nicht auflösen. Selbstverständlich muss ich die andere Seite ernst nehmen, also ernst bleiben und versuchen, nicht auszuweichen. Aber das gibt keine vollständige Sicherheit vor mir, denn mein Blick bleibt immer gefährlich. Ob das der Blick der Privilegierten oder der Blick des Anderen ist, will ich hier nicht entscheiden, bin mir aber sicher, dass sich kein Mensch als frei von ihm rühmen kann. Aus dieser Gefahr wächst (als Rettendes?) zunächst einmal das Recht, etwas nicht erzählen zu müssen, vor allem, nicht alles begründen zu müssen, die eigene Geschichte und das eigene Anliegen nicht wasserdicht machen zu müssen.

Ein solches Recht ähnelte dem Recht auf den Kampf um die eigenen Angelegenheiten, wie es Jenn Frank in ihrem genialen Text I was a Teenage Sexist andeutet.

A lot of my favorite people are rigorous anti-feminists, but in the nicest possible way.

These folks really do treat women as peers – academically, professionally, personally, romantically – and many of these right-headed people shy from any sort of “battle.”

These anti-sexists always turn a polite, blind eye. Why keep picking fights? Diatribes are no fun. Stop whining and buck up, you! If your vagina (or whatever you have there, since not every woman or feminist is privileged to have one) is the worst you can complain about, it’s gonna be one easy ride, sister! Or mister. Whoever. Whomever.

Leute, die so reden, wie Frank erzählt, hören natürlich gar nicht zu, wehren ab, weichen aus. Gerade deswegen gibt es ein Recht, ihnen die Beschwerden nicht begründen zu müssen. Sie sind nämlich mit gemeint, es betrifft sie selbst, und kein rationaler Grund alleine wird ihnen das näher bringen können. Vor allem aber rückt jede Rechtfertigung die Last der Begründung auf die rechtfertigende Seite, eine Last, die die der Entwürdigung noch ergänzen würde.

Ich bin aus solchen Gründen vorsichtig damit geworden, jedes Gespräch und jede Lektüre als Lernvorgang zu sehen. Nach dem Motto, ‚danach weiß ich besser Bescheid über die Lage der Frauen oder die Lage der Frauen in Südindien oder die Situation der überlebenden Jüd_innen nach 1945‘. Es geht dabei nicht um meinen Wissensdurst, wie bei einem Gespräch über Nanoteilchen oder frühgotische Kirchtürme. Wenn es gut läuft, komme ich mit etwas in Berührung, ohne es dabei ergreifen zu können. Keine unknifflige Sache.

Andreas Kemper, [r]echte Kerle

I.

Schon im Mai 2011 hat Andreas Kemper im Unrast Verlag aus Münster seinen Text zur antifeministischen Männerrechtsbewegung veröffentlicht: [r]echte Kerle, zur Kumpanei der MännerRECHTSbewegung. Kemper beschreibt in seinem Buch die Entstehung der sogenannten Männer/Rechtsbewegung aus der Perspektive alternativer Männlichkeiten, wie sie in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts in der BRD erprobt wurden.

Zwar tauchten schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts erste von Männern verfasste antifeministische Streitschriften auf, an Fahrt gewannen diese Ideologien, so Kemper, allerdings erst in den 80er und 90er Jahren. Wie geschah das? Angesichts der zweiten Frauenbewegung oder des Feminismus der 2. Generation sowie der damaligen Schwulenbewegung entstanden um und nach 1973 auch erste, selbstkritische Männergruppen, in denen die linken Männer versuchten, ihre sexistischen Verhaltensweisen zu reflektieren und zu ändern. Dazu gehörte das Umfeld der Kommunebewegung, besetzten Häuser, Wohnprojekte und vielleicht auch der sogenannten Studentenbewegung. Eben in ausschließlich männlicher Form. Kemper grenzt von diesen alternativen Männern die bürgerlichen Männer ab, mit denen die Alternativen im Lauf der Jahre immer mehr in Berührung gerieten. Von den bürgerlichen, praktisch traditionellen Männern gingen die Impulse zur Wiederentdeckung der „natürlichen Männlichkeit“, des „wilden Mannes“ (S. 30-33) – in etwa, ‚der Mann muss penetrieren‘ – und schließlich der Figur des vom Feminismus geknechteten Vater und Mannes aus. Neben eher allgemeinen Festellungen wie: „Die Bürgerliche Männerbewegung institutionalisierte und entpolitisierte sich zusehends.“ (S. 28), bietet Kemper auch einen Einblick in den Hintergrund dieser Entwicklungen. Entpolitisierung der Männerbewegung hieß, „es ging nicht mehr um »Gegengesellschaft«, sondern um »Rollenfindung«, darum, Wege aus der »Identitätskrise« zu finden. Der heterosexuell orientierte Mann als patriarchales Konstrukt wurde von der bürgerlichen Männerbeweung kaum noch in Frage gestellt: »Annäherungsversuche und Intimitätsaustausch (nicht mit homosexuellen Beziehungen zu verwechseln) sind soziale Fähigkeiten, die Männer in der Regeln nicht gelernt, aber bitter nötig haben, wollen sie ihre Rollenkrise angehen und bewältigen.«“ (S. 25, mit einem Zitat aus Rodrigo Jokisch, Mann-Sein, Reinbek bei Hamburg 1983, S. 10.) Die Entpolitisierung der Männerbewegung wurde durch eine Krise der Männlichkeit selbst zumindest begünstigt. Erklärt das die neue, rechte Männerbewegung der sogenannte Maskulinisten (oder selbsternannt: Makulisten)?

Kemper ordent die antifeministische Männerbewegung konsequent in ein links-rechts Schema ein und gewinnt dadurch einen Blick für den umfassende Verachtung anderer, die diese Bewegung ausdrückt und antreibt. In den von ihm beschriebenen Publikationen, Vereinen und Internetforen (zum Beispiel MANNdat, Agens e.V., Väteraufbruch für Kinder e.V., Piraten-Männer AG und das Forum „Wieviel Gleichberechtigung verträgt das Land“) werden nicht nur misogyne und homophobe Töne laut, sondern auch rassistische, antisemitische oder schlichtweg rechtradikale. Das reicht bis zu Gewalt- und Mordphantasien. Obwohl Kemper in dieser Hinsicht viele ebenso verstörende wie erhellende Zitate zusammen trägt (S. 52-63), entgeht ihm durch die links-rechts Orientierung, dass es diesen Männer doch um ihre Männlichkeit geht.

II.

Besonders angesichts der phantasierten Gewalt in den Äußerungen der Maskulinisten, aber auch schon angesichts ihrer diffamierenden Äußerungen über Frauen, Schwule, über ‚lila Pudel‘ (gemeint sind profeministische Männer) oder Angestellte in Frauenhäusern muss die Gefährlichkeit dieser Äußerungen, ihre verletzende Wirkung und die Gefährlichkeit der sie tätigenden Personen Beachtung und Gegenwehr finden. Dennoch bleiben extrem gewaltverherrlichende und rechtsradikale Positionen der antifeministischen Männerbewegung ohne breite Akzeptanz, besonders wenn sie von diesen Männern für diese Männer artikuliert werden. Also von Forumsteilnehmer zu lobendem und beifällig ergänzendem Forumsteilnehmer.

Anders sieht die Lage aus, wenn es um angeblich oder tatsächlich ins Schwanken geratene Männlichkeiten geht. Ich will einen Aspekt (traditioneller) Männlichkeiten herausgreifen. Wie Andreas Kemper, Thomas Gesterkamp in seiner Studie „Geschlechterkampf von Rechts“ und neuerdings auch Hinrich Rosenbrock in „Die antifeministische Männerrechtsbewegung“ betonen, gelangen antifeministische und promaskulinistische Positionen immer stärker in den medialen Mainstream. Dabei erklärt die Nennung einiger Redakteure beim Spiegl, Deutschlandfunk oder bei der FAZ nichts, außer dass dort eben auch männerrechtsbewegte Männer sitzen. Eines der beliebtensten maskulinistischen Themen dieser Medien sind die Väterrechte. So erschien anlässlich der am 04. Juli 2012 vom Bundeskabinett beschlossenen Sorgerechtsreform am 07. Juli ein Artikel der Autorin Cornelia von Wrangel auf faz.net, in dem der Tenor vorherrscht, die Männer würden im Geschlechterkampf Terrain gut machen und es bürgere sich endlich ein, „der Frau nicht mehr die familiäre Vormachtstellung zu geben.“ (Hatten sie sie denn jemals gehabt?) Das geschähe natürlich vor allem zum Wohle der Kinder. Diese Einwürfe kann ich ohne weitere Hilfsmittel nicht ganz verstehen.

Ich muss kurz ein wenig ausholen. Der Verein „Väteraufbruch für Kinder“ erklärt auf seiner Homepage, dass Kinder unbedingt beide Eltern bräuchten, um psychisch gesund aufzuwachsen. Gemeint sind Frau und Mann als leibliche Eltern, neue PartnerInnen eines Elternteils, Adoptiv- oder Pflegeeltern oder homosexuelle Paare können die vom Verein angedachten erzieherischen Funktionen nicht erfüllen. Fehlt einem Kind der leibliche Vater, so tritt das Syndrom Elternentfremdung (Parental Alienation Syndrome) mit erhöhter Wahrscheinlichkeit auf. Dieses Syndrom führt im Falle von Trennung der Eltern dazu, dass sich das Kind schlechter oder gar nicht von seiner Mutter lösen könne und auch später bleibende Bindungsstörungen erhalte. Die Funktion des Vaters sei es, dass das Kind lernt, sich von der Mutter zu trennen, und dadurch auch übt, menschlich-persönliche Beziehungen in Balance von Bindung und Ablösung zu pflegen. Etwas ausführlicher erklärt diese These eine Sozialarbeiterin und Mediatorin namens Wera Fischer in einem fiktiven Interview, das auf der Homepage des Vereins „Väteraufbruch für Kinder“ verlinkt ist. Hier eröffnet Fischer den Widerspruch, dass Kinder durch Väter, die sich emotional und praktisch von der Familie fern halten, internalisieren, wie Beziehungen aufrecht erhalten werden können. Die männliche Verweigerung an Kommunikation, Verantwortungsübernahme, Pflege und Beteiligung wird zu einem nicht nur normalen, sondern wichtigem Aspekt an menschlichen Beziehungen apostrophiert. Fischer betont, dass der Vater jene Funktion auch dann ausüben könne, wenn die traditionelle Rollenverteilung gewahrt bleibt: Frau – Familienpflege zu Hause, Mann – Geld für die Familie durch Arbeit aushäusig heranschaffen. Spätestens hier beschleicht eine/n der Verdacht, es könne sich um ganz simple Verteidigungsstrategien traditioneller Geschlechterrollen handeln. In der Tat bleiben die Thesen der VäterrechterInnen fast immer oberflächlich, pauschal und fern aller Lebensrealitäten. Eine ausführliche Widerlegung ihrer psychologischen Modelle lohnt sich nicht, aber die Frage, wozu das alles, schon. Warum wollen Väter das Sorgerecht für ihre Kinder, sollen aber der das väterliche Sorgerecht begründenden Ideologie gemäß ihre Kinder nicht waschen, wickeln, bespaßen, trösten oder in den Schlaf wiegen?

Die Väterrechtsbewegung bildet nicht nur die größte Blase unter den verschiedenen antifeministischen Strömungen (ca. 3000 Personen), sie ist auch anscheinend die einzige bundesweit regionalisierte Bewegung, die viele Gruppen für Väter organisieren, die das Sorgerecht für ihre Kinder aus welchen individuellen Gründen auch immer verloren haben. Die väterrechtliche Ideologie besagt auf der psychologischen Ebene, dass Väter den Kindern Beziehungen ohne Bindungen vorleben (eben das der eigenen Familie fern Bleiben und sich nicht Kümmern) und gerade dadurch die Lösung des Kindes von der Mutter begünstigen. Das wirkt so verblüffend logisch wie traditionell. Aber diese Logik ergibt noch keine individuelle Motivation, sich um das Sorgerecht eines Kindes (erfolglos) zu bemühen und dafür Hilfe bei den väterrechtlichen Gruppen zu suchen. Mir leuchtet der umgekehrte Weg viel mehr ein: ein zunehmend größerer Teil der in Trennung von der Mutter des eigenen Kindes lebenden Männer wollen Kontakt zu eben diesem Kind (oder diesen Kindern). Das Sorgerecht erhielten diese Väter aber dann nicht, wenn die Mutter dem nicht zustimmte (was nun mit dem aktuellen Beschluss des Bundeskabinetts geändert werden soll). Die Väter sehen sich nun als Opfer des Feminismus, nicht als Opfer der traditionell-männlichen Vaterrolle, die der Mutter allein die Sorge um das Kind überließ. Anschließend brauen einige VäterrechtlerInnen eine antifeministisch gerichtete Kindspsychologie zusammen, um den Antifeminismus besser begründen zu können; und nicht zuletzt um Trennungen generell zu verteufeln und im Namen des Kindes (das sich bekanntlich gegen keine Vereinnahmung wehren kann) für ungesund zu erklären.

Hier liegt die Krux. Es bewegt sich etwas in der Väterrolle und damit in einem Aspekt von Männlichkeiten und in der von Kemper erwähnten Identitätskrise von Männern. Wohlgemerkt, das gilt für heterosexuelle Väter eines Kindes (vermutlich auch nur für sogeannte Cis-Männer) – wenn sie sich für dieses Kind auch interessieren. Andere Aspekte habe ich hier ausgeblendet. Einen kleinen Hinweis auf diese Bewegung gibt auch die Zahl der zwischen 1995 und 2010 sich verdoppelten Geburten in nicht-ehelichen Beziehungen (von 15 auf 33% der Geburten). Ein gestiegenes Interesse von Vätern an ihren Kindern kann ich mit Zahlen nicht belegen, das Konzept der involvierten Vaterschaft weist aber in diese Richtung. Die nun zu Tage tretenden, väterlichen Wünsche verbünden sich aber schon angesichts der ersten Hürden mit ihrem Feind, dem Abbild des patriarchalen Mannes, der Opfer angeblicher, weiblicher Übermacht wird. So gesehen drängt sich die Forderung geradzu auf, dass Männer mit Vaterwünschen und Interesse an ihrem Kind diese Interessen nicht nur gegenüber ihren Arbeitgebern und ihren inneren Widerständen aus Karrieredruck Akzeptanz verschaffen sollten, sondern dass sie sich vor allem fragen sollten, was sie daran hindert, sich auf die kümmernde und sorgende Rolle gegenüber Mutter und Kind einzulassen bzw. inwieweit und warum sie glauben, ein eigenständiges und autonomes Leben nur unter der Bedingung führen zu können, dass sich die Frau um das Kind und um sich selbst (als Mutter) kümmert, während sie sich von der Liebe und den Geliebten abgetrennt in Geist, Wissen, Technik oder Methoden des Geldverdienens perfektionieren.

Männerrechte, Männer und Rechte

Individuelle Freiheitsrechte wurden zuerst von Männern formuliert, eingesetzt und theoretisch untermauert. Rechte können Männer gegen andere (Männer) anwenden, aber auch gegen Einrichtungen wie den Turnverein oder den Staat. Wer ‚das Recht eines Menschen‘ sagt, legt ein Mindestmaß von Außereinander der Individuen nahe, eine Trennung und bisweilen sogar eine gemäßigte Form des Kampfes um Eingriffe in die und Kontrolle der individuellen Bereiche des Handelns und Seins – der Freiheiten. Rechte werden gegen andere eingesetzt, die zur ihrer Achtung auch mit Zwang verpflichtet werden können. In der Moderne entsteht die Idee, dass sich Individuen selbst ihre Rechte geben können. Diese müssen hinreichend abstrakt formuliert sein, wenn sie  universell Verständnis und Anwendung finden sollen, gleichzeitig müssen die Rechtssubjekte oder Theoretiker_innen zu ihrer Begründung nicht auf Überlieferungen, Sitten oder religiöse Lehren zurück greifen. Es geht ums Prinzip, also darum, was allen Subjekten als Recht anerkannt werden kann und sollte.

Individuelle Vermögen, abstrakt gefasst, werden auf diese Weise zur Grundlage der Rechte autonomer Subjekte. Bei Kant spielt das Vermögen der Vernunft die entscheidende Rolle, bei Locke das der Arbeit. In diesen Modellen räumen sich jedoch Individuen gegenseitig gleiche Rechte ein – ob sie sie als vernünftige Prinzipien erkennen oder sie als arbeitende Personen sich gegenseitig als Eigentum (Produkt er eigenen Arbeit) anerkennen.

Die Theorie reziprok anerkannter und gleicher Rechte wurde schnell der feministischen Kritik unterzogen. Olympe de Gouges und Mary Wollstonecraft haben heute noch berühmte Streitschriften gegen die männlichen Menschen- und Bürgerrechte verfasst, ohne jedoch das Konzept individueller Rechte überhaupt aufzugeben. Im Kern lassen sich zwei Varianten feministischer Kritik der individuellen Rechte denken.

1) Einerseits kann der Vorwurf lauten, dass alle graue Theorie falsch bleibt, so lange die Männer in der Realität den Frauen ihre Rechte vorenthalten. Individuelle und subjektive Rechte geben dann das Versprechen ab, das für die eigentlich gleichberechtigten Frauen noch einzulösen ist; gelingt dies, wird auch das Patriarchat umgeworfen. Frauen haben dann Rechte im Bereich Eigentum und Handel (der Ökonomie), von Familie und Ehe (besonders das Scheidungsrecht), sowie politische Rechte (Stimmrecht, Meinungsfreiheit, passives Wahlrecht etc.) zu erhalten und haben es durch die Jahrhunderte in vielen modernen Verfassungen auch erkämpft. Dabei handelt es sich sozusagen um einzelne Schritte in Richtung Emanzipation und Gleichberechtigung.

2) Andererseits lässt sich der Hebel auch an der Idee gleicher Rechte für alle ansetzen. Denn wenn die Verhältnisse, insbesondere die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern, der Idee gleicher Rechte spotten, dann müssen auch der Idee der Rechte Kontextsensibilität und ausgleichende Ungleichheiten eingepflanzt werden, um überhaupt Rechte für diejenigen Subjekte zu ermöglichen, die ihnen durch soziale Herrschaft vorenthalten werden. Theoretisch lassen sich auch in diesem Fall wieder mehrere Optionen denken: von positiver Diskriminierung (Stichwort ‚Frauenquoten‘) als Ausnahmemaßnehmen der ausgleichenden Bevorzugung Minderprivilegierter, über Kataloge von Frauenrechten als Menschenrechte, die allmählich in die Grundrechtskataloge integriert werden sollen, bis zur Theorie der dekonstruierenden Umdeutung und Verschiebung eines jeweils gegebenen Rechtsverständnisses, in dessen Rahmen Rechtskataloge für bestimmte historisch und sozial variierende Situationen von Rechtssubjekten in spe gebraucht werden können. In diesem Sinne hat sich beispielsweise Drucilla Cornell gegen ein einfaches Verbot von Prostitution oder Pornographie gewandt, wie auch gegen jegliche Abtreibungsverbote, da es aus ihrer Sicht darum gehen muss, Frauen, um beim Beispiel zu bleiben, Pornographie als Handlungs- und Ausdrucksoption offen zu lassen, um sie in ihrem Sinne zu Zwecken der Emanzipation nutzen zu können. Dann würde Pornographie zwar in den Bereich der Meinungs- und Pressefreiheit fallen, was aber nicht ohne eine Sensibilität für die vorhandene Unterdrückung und Objektivierung der Frauen durch den Sex der Mainstream-Pornographie im befreienden Sinne nutzbar gemacht werden kann. Mainstream-Pornographie wäre demnach zu bekämpfen, DIY-Pornographie zu Zwecken sexueller Befreiung hingegen zu unterstützen, was alles andere als eine abstrakte Gleichbehandlung ergibt.

Zuspitzen lassen sich diese beiden Feminismen auf die Frage, sind Rechte zwar geschlechtsneutral, aber in der Gesellschaft noch nicht ausreichend verwirklicht, oder sind sie geschlechtsanfällig und dem jeweiligen Kontext von Geschlechter- und mit ihnen einhergehenden Machtverhältnissen auf die eine oder andere Art anzupassen? Ich möchte diese Frage hier nicht ausführlich diskutieren, sondern anmerken, dass mir weder gegen die Integration von Frauen in die bis dato ihnen vorenthaltenen Rechte, also beispielsweise die Anerkennung auch ihres Recht auf Scheidung einer Ehe, noch gegen eine geschlechtssensible Deutung von Rechten einseitig schlagende Argumente einfallen. Wie jedoch richtet sich speziell der Blick der Männer heute auf diese Fragen?

Abgehen von denjenigen Maskulinisten, die die Frauen als schwächere Menschen betrachten, die der Herrschaft der Männer zu unterwerfen sind, werden wohl gleiche Rechte für Frauen in den modernen Gesellschaften von Männern (auch gemäßigten Maskulinisten) prinzipiell, wenn auch oft nur verbal, anerkannt. Auf dieser Basis lassen sich Rechte von Frauen auch in den Gesetzbüchern implementieren und es folgt eine schwere, aber notwendige Arbeit der Sensibilisierung von Männern und Institutionen, diese Rechte von Frauen auch wahrzunehmen und zumindest ihr Verhalten daran zu orientieren. Von der Beratung bis zur Therapie lassen sich viele Formen dieser Arbeit vorstellen, finden auch statt, sie befinden sich aber sozusagen unterhalb der Ebene des Rechtsverständnisses, das für diese Arbeit als geklärt vorausgesetzt werden muss. Frauen haben demnach die gleichen Rechte wie Männer. Männer mögen auf diese Impulse offen und interessiert, oder ablehnend und sich zähneknirschend unterwerfend reagieren. Beispielsweise lässt sich beobachten, dass Männer in männerbündlerischen Zusammenhängen in Betrieben oder patriarchal angestammten Positionen (wie als Richter) zwar ihre sexistische Sprache glätten und vermeiden, jedoch andere, stillere Formen der Diskriminierung finden, ohne vor allem ihren patriarchalen Gefühlshaushalt wandeln zu können. Das alleine spricht jedoch nicht gegen die Auffassung von gleichen Rechten von Frauen und Männern und erst Recht nicht gegen die Arbeit der Aufklärung von Männern und gesellschaftlichen Einrichtungen gegen ihre bis dahin als selbstverständlich hingenommene Objektivierung und Entmenschlichung von Frauen.

Wie lässt sich darüber hinaus eine partielle Entrechtung von Männern zugunsten der Emanzipation von Frauen verstehen und beurteilen? In der Praxis der positiven Diskriminierung (affirmative action) klingt eine Möglichkeit dieser partiellen Entrechtung von Männern an. Frauen werden beispielsweise im Falle gleicher Qualifikation zur Besetzung einer offenen Stelle Männern vorgezogen, was auch für Behinderte, ethnische oder religiöse Minderheiten praktiziert kann. Ich halte solche Regelungen und ihre Legalität für überaus sinnvoll, um die augenfälligsten Ungerechtigkeiten im Bereich Berufschancen und Einkommen zwischen Frauen und Männern auszugleichen, zumal ihre zeitliche Begrenzung unmittelbar ins Auge fällt. Sobald diese Ungerechtigkeiten beseitigt sind, was in der Bundesrepublik keineswegs der Fall ist, endet auch die Anwendung dieser Regeln.

Mir scheinen jedoch Fragen des Zusammenhangs von Rechten, Machtbeziehungen (sowie dem mit ihnen einhergehednen Gefühlshaushalt) und subjektiver Befreiung interessanter zu sein. Ganz einfach liegt der Fall, wenn ein Mann behauptet, dass die Verheiratung seiner Tochter an einen Partner seiner Wahl sein angestammtes Recht sei. Das lässt sich als traditionale Ideologie entlarven, die die Vorherrschaft von Männern über Frauen, besonders verwandten Frauen, rechtfertigt, aber dem Argument der Gleichberechtigung nicht stand hält. Hier hat der Mann Rechte abzugeben, die sich ohnehin als nur vermeintliche Rechte entpuppen, was Frauen im Hinblick auf bestimmte Lebensentscheidungen befreit. Etwas komplizierter wird es in moderneren Beziehungen, in denen die Machtverhältnisse subtiler gestaltet sind. Hier haben Rechte von Frauen wie von Männern viel mit Anerkennung des Subjekts und ihrer Unterschiede zu tun. Beispieslweise rührt einer der Beweggründe der Entstehung des Patriarchats daher, dass nur Frauen schwanger werden, Kinder gebähren und stillen können. Das macht besondere Erfahrungen aus, eine besondere Beziehung zu einem Neugeborenen, besonders wenn die Mutter stillt, aber auch besondere Schmerzen und Leiden, die Männer nicht nachempfinden und nicht übernehmen können. Das ergibt eine Erfahrung der Machtlosigkeit für Männer, die, besonders wenn sie unreflektiert bleibt, in Versuchen der Kontrolle der Frauen in diesen Lebensvorgängen, aber auch anderen Bereichen des Lebens resultieren. Dazu gehört besonders die Kontrolle des weiblichen Körpers und der weiblichen Sexualität. Die (vermeintliche) Sicherung einer Vormachtstellung aus dem Gefühl der Machtlosigkeit heraus, denn eine hundertprozentige Kontrolle des weiblichen Körpers und damit unter Umständen des Umgangs mit dem eigenen Kind lässt sich nicht herstellen, gepaart mit Empfindungen der Eifersucht, des Neides, gelegenlich auch des Mitleides – das sind einige Ingredienzen des Patriarchats. Es liegt hier eine Ungleichheit schon in den Möglichkeiten subjektiver Erfahrung vor, eine Ungleichheit, die in absehbarer Zeit technisch nicht ausgeglichen werden wird. Die Lösung für die so entstehenden Probleme, also den Rückzug der Männer von der Kinderpflege und -erziehung, das männliche Übergewicht in der Berufsausübung, der Ersatz von Gefühlen für Frau und Kind durch machtorientierte Verweigerung ihnen gegeüber, wenn sie denn in die Sphäre der Rechte fallen, funktionieren kaum über die Realisierung gleicher Rechte. Vielmehr geht es darum, dass Frauenrechte in diesem Zusammenhang durch Anerkennung ihrer Erfahrungen und ihrer Leistungen entstehen. Sobald Schwangerschaft und Stillen eine besondere, auch materielle Unterstützung erfahren würden, könnte die Kinderpflege und umfassende, also auch emotionale Sorge für sie, von den Kategorien des Geschlechts teilweise gelöst werden. Männer haben gewissermaßen auch ein Recht auf Kinder und Kindererziehung, auch wenn sie bestimmte körperliche Erfahrungen mit ihnen nicht machen können. Sie müssten diese Rechte zum Beispiel gegenüber Arbeitgeber_innen geltend machen. Das gleiche gilt dann für Menschen mit anderen geschlechtlichen und sexuellen Identitäten. Ich kann hier nicht alle Möglichkeiten durchspielen, aber sobald die unterschiedlichen (körperlichen) Möglichkeiten Anerkennung finden, Erfahrungen mit dem Kinderkriegen zu machen, kann es aus dem Gefängnis ’natürlicher Weiblichkeit‘ befreit werden. Das würde wiederum zumindest alle diejenigen Subjekte befreien, die einen Kinderwunsch hegen, nämlich ihre individuelle Rolle dabei wahrzunehmen; aber auch diejenigen, für die Kinder nicht in den eigenen Lebentwurf passen, brauchen sich nicht mehr mit Ansprüchen ’natürlicher‘ Lebensweisen (sprich: als Frau hast du Kinder zu bekommen) auseinander zu setzen.

Die genannten Gefühle wie männliche Eifersucht und männlicher Neid, sowie körperliche Möglichkeiten können auf diese Weise, durch Anerkennung, nicht einfach abgeschafft oder egalisiert werden. Aber sie können eine neue Deutung erfahren, nach der Rechte auf Unterstützung und Freiräume neu entstehen, zwar individuell angewendet werden, aber nicht mehr natürlichen Geschlechtern, sondern eher Lebensplänen und -entwürfen zugeordnet werden können. So kann auch nicht die ungleich vorhandene Macht ausgleichen, die eine Frau über ein Kind in ihrem Körper hat, über das sie, als Teil ihres Körpers auch die volle Kontrolle haben können muss. Aber die männlichen Reaktionen auf diese Macht muss nicht mit einer unreflektierten Zementierung der männlichen Macht, in der Phase der Schwangerschaft und der Babypflege außer Haus zu gehen, kompensiert werden. Auch Beruf, Freunde, Sport oder was immer sind für alle da, wenn nämlich die individuelle Situation und die eigenen Wünsche es nahe legen.

So weit erste Überlegungen zu anerkannten Rechten, die auf Ungleichheit basieren, ich hoffe, dass sich diese Thesen ausweiten und gründlicher diskutieren lassen.