Schlagwort: Rechte

Gender, Verstehen und ein Recht auf Eigenwilligkeit

Vor ein paar Wochen habe ich versucht, meine Gedanken zu Gender und Männlichkeiten etwas zu ordnen. Es gelang mit nicht recht und ich gebe es jetzt auf, hier eine breite Theoriereflexion anzubieten. Statt dessen habe ich zwei Gedanken aufgeschrieben, die vielleicht am ehesten als meine Fragen (in Auswahl) zu charakterisieren wären. Ich freue mich über kreative Kommentare.

1. Einerseits versuchen linke Genderkritiker_innen zu Recht, das Geschlecht zu zerstören (Your Gender: male?, female?, fuck you!), denn wer genderd in dieser Welt? Die Männer. Sie geben Frauen ein Geschlecht und generieren (sowie rechtfertigen) auf diese Weise eine ganze Reihe von Unterdrückungs- und Kontrollmechanismen. Männer haben das Konzept der Zweigeschlechtlichkeit erfunden, um Frauen von sich abhängig zu machen, denn Gender hängt nicht an der Zahl ‚Zwei‘, sondern an der Angewiesenheit der reproduzierenden Frauen auf die Lebensmittel beschaffenden und im öffentlichen Verkehr stehenden Männer. Aber: Männer mögen Frauen, Homo-, Trans- und Intersexuellen ein Geschlecht geben, sich selbst geben sie es nicht. Die Zerstörung des Konzepts Geschlecht wenden Männer konsequent auf sich an, sie begreifen und fühlen sich als vollkommene, befähigte und unabhängige Wesen. Den Preis dafür zahlen alle, die unfähiger und abhängiger als die Männer erscheinen (und sich selbst so kennen lernen), diejenigen mit den Eigenschaften schwächer, dümmer, weniger verständig und weniger kämpferisch. Ich werde den Verdacht nicht los, dass auch bei der Zerstörung des Geschlechts das Geschlecht immer mitgeschleift wird; aus dem Unbewussten (und sei es als Schimmer der Vergangenheit) wieder auftaucht, in Form von renitenten Elementen der Gesellschaft, die ihr Geschlecht nicht ablegen wollen, oder anstelle der Unterscheidung von Mir und Dir als Unterschied im Individuum selbst, nämlich als Unterschied zwischen dem ganzen bzw. perfekten und dem unvollständigen bzw. bedürftigen Menschen.

2. Eine ganz andere Schwierigkeit taucht auf, wenn ich versuche, andere zu verstehen. Vielleicht auch das Andere. Ob Männer Frauen verstehen wollen, Nicht-Jüd_innen die Jüd_innen, weiße nicht-weiße oder heterosexuelle nicht-heterosexuelle und homosexuelle Menschen; die Sache bleibt ambivalent. Wie schon Verena Stefan in ihrem Buch „Häutungen“ die Protagonistin sich fragen lässt, warum ihr Freund nie ein feministisches Buch auch nur ansehen würde, liegt darin auch der Vorwurf, Männer interessieren sich eben nicht für die Welt der Frauen. Für ihre Wahrnehmung, ihr Erleben und ihre Sicht auf sich selbst und auf sie, die Männer. Diese Ignoranz gehört zum (linken) patriarchalen Komplex, zum Glaube, die Frauen könnten keine Meinung von Gewicht haben und keine interessanten Themen aufbringen. Daher dient das Verstehen der anderen Seite, fest gezimmerte Grenzen zu überschreiten und Machtgefüge ins Wanken zu bringen. Wird diesem Ansatz unterstellt, ‚die andere Seite‘ würde durch die Behauptung dieser Grenze erst essentialisiert und auf diese Weise eine Praxis der Herstellung der Andersheit vollzogen, dann halte ich das für vorschnell. Denn die Forderung der Frauen an die Männer, sich einmal mit ihnen und dem Feminismus zu beschäftigen, rührt keineswegs aus dem Impuls, Frau sein zu dürfen und bleiben zu wollen. Was immer das heißen sollte. Auch Verena Stefan betont in einem neueren Interview, dass sie nicht Frau, sondern Mensch sein will und wollte, also Nachts alleine spazieren gehen oder alleine reisen.

Das Problem liegt im Geheimnis der anderen und im Versuch, jedes Geheimnis zu lüften, also der männlichen Art zu forschen. Ich muss dabei nicht nur an Donna Haraways wunderbaren Artikel „Teddy Bear Patriary“ (Nicholas Dirks, Geoff Eley, Sherry Ortner (Eds.), Culture / Power / History, 1994, S. 49-95) denken. Haraway analysiert dort, wie Männer die Kreaturen, für die sie sich interessieren (in diesem Fall Gorrilas), erlegen und ausstopfen müssen, um sie erforschen zu können.

Ich denke auch an einen kurzen Wortwechsel mit meiner Freundin. Auf meinem Schreibtisch lag „Der gemachte Mann“ von R. Connell. Mit Blick auf dieses Buch sagte sie, sie würde es gerne lesen, worauf ich antwortete, das ginge sie gar nichts an. Sie dazu sinngemäß: ‚Da kannst du mal sehen, wie unangenehm es ist, immer so beforscht und präsentiert zu werden.‘ Das hat mich auf einen Gedanken gebracht. Die Veröffentlichung von letztlich sehr intimen Gefühlswelten, gerade wenn es um Unterdrückung und Entwürdigung geht, hat ihre notwendigen Seiten. Wie gesagt, Ignoranz gegenüber den Opfern, den weniger Privilegierten gehört oft zum System der Unterdrückung. Also sollten sich gerade Privilegierte mit der anderen Seite beschäftigen. Aber diese Veröffentlichung macht auch doppelt verletzlich. Ich meine gar nicht so sehr all der Spam und Shitstorm, der als Reaktion folgen kann. Auch wenn ich versuche, die Geschichte und Sichtweise der anderen sehr verantwortungsvoll wahrzunehmen (Eine Handlungsanweisung dazu findet sich hier), wird garantiert etwas davon ‚auf dem Weg zu mir‘ verloren gehen, von mir umgedeutet werden, abgeschwächt oder aufgewertet, jedenfalls anders als gemeint ankommen. Diesem Risiko müssten Männer sich erst Mal aussetzen können, daher meine Reaktion auf den Wunsch einer Frau, „Der gemachte Mann“ lesen zu wollen. (‚Um Gottes Willen, kann ich dann nicht missverstanden werden?‘) Wie viel Correctness und Moral auch immer diesem Risiko entgegen gesetzt wird, es lässt sich, glaube ich, nicht auflösen. Selbstverständlich muss ich die andere Seite ernst nehmen, also ernst bleiben und versuchen, nicht auszuweichen. Aber das gibt keine vollständige Sicherheit vor mir, denn mein Blick bleibt immer gefährlich. Ob das der Blick der Privilegierten oder der Blick des Anderen ist, will ich hier nicht entscheiden, bin mir aber sicher, dass sich kein Mensch als frei von ihm rühmen kann. Aus dieser Gefahr wächst (als Rettendes?) zunächst einmal das Recht, etwas nicht erzählen zu müssen, vor allem, nicht alles begründen zu müssen, die eigene Geschichte und das eigene Anliegen nicht wasserdicht machen zu müssen.

Ein solches Recht ähnelte dem Recht auf den Kampf um die eigenen Angelegenheiten, wie es Jenn Frank in ihrem genialen Text I was a Teenage Sexist andeutet.

A lot of my favorite people are rigorous anti-feminists, but in the nicest possible way.

These folks really do treat women as peers – academically, professionally, personally, romantically – and many of these right-headed people shy from any sort of “battle.”

These anti-sexists always turn a polite, blind eye. Why keep picking fights? Diatribes are no fun. Stop whining and buck up, you! If your vagina (or whatever you have there, since not every woman or feminist is privileged to have one) is the worst you can complain about, it’s gonna be one easy ride, sister! Or mister. Whoever. Whomever.

Leute, die so reden, wie Frank erzählt, hören natürlich gar nicht zu, wehren ab, weichen aus. Gerade deswegen gibt es ein Recht, ihnen die Beschwerden nicht begründen zu müssen. Sie sind nämlich mit gemeint, es betrifft sie selbst, und kein rationaler Grund alleine wird ihnen das näher bringen können. Vor allem aber rückt jede Rechtfertigung die Last der Begründung auf die rechtfertigende Seite, eine Last, die die der Entwürdigung noch ergänzen würde.

Ich bin aus solchen Gründen vorsichtig damit geworden, jedes Gespräch und jede Lektüre als Lernvorgang zu sehen. Nach dem Motto, ‚danach weiß ich besser Bescheid über die Lage der Frauen oder die Lage der Frauen in Südindien oder die Situation der überlebenden Jüd_innen nach 1945‘. Es geht dabei nicht um meinen Wissensdurst, wie bei einem Gespräch über Nanoteilchen oder frühgotische Kirchtürme. Wenn es gut läuft, komme ich mit etwas in Berührung, ohne es dabei ergreifen zu können. Keine unknifflige Sache.

Männerrechte, Männer und Rechte

Individuelle Freiheitsrechte wurden zuerst von Männern formuliert, eingesetzt und theoretisch untermauert. Rechte können Männer gegen andere (Männer) anwenden, aber auch gegen Einrichtungen wie den Turnverein oder den Staat. Wer ‚das Recht eines Menschen‘ sagt, legt ein Mindestmaß von Außereinander der Individuen nahe, eine Trennung und bisweilen sogar eine gemäßigte Form des Kampfes um Eingriffe in die und Kontrolle der individuellen Bereiche des Handelns und Seins – der Freiheiten. Rechte werden gegen andere eingesetzt, die zur ihrer Achtung auch mit Zwang verpflichtet werden können. In der Moderne entsteht die Idee, dass sich Individuen selbst ihre Rechte geben können. Diese müssen hinreichend abstrakt formuliert sein, wenn sie  universell Verständnis und Anwendung finden sollen, gleichzeitig müssen die Rechtssubjekte oder Theoretiker_innen zu ihrer Begründung nicht auf Überlieferungen, Sitten oder religiöse Lehren zurück greifen. Es geht ums Prinzip, also darum, was allen Subjekten als Recht anerkannt werden kann und sollte.

Individuelle Vermögen, abstrakt gefasst, werden auf diese Weise zur Grundlage der Rechte autonomer Subjekte. Bei Kant spielt das Vermögen der Vernunft die entscheidende Rolle, bei Locke das der Arbeit. In diesen Modellen räumen sich jedoch Individuen gegenseitig gleiche Rechte ein – ob sie sie als vernünftige Prinzipien erkennen oder sie als arbeitende Personen sich gegenseitig als Eigentum (Produkt er eigenen Arbeit) anerkennen.

Die Theorie reziprok anerkannter und gleicher Rechte wurde schnell der feministischen Kritik unterzogen. Olympe de Gouges und Mary Wollstonecraft haben heute noch berühmte Streitschriften gegen die männlichen Menschen- und Bürgerrechte verfasst, ohne jedoch das Konzept individueller Rechte überhaupt aufzugeben. Im Kern lassen sich zwei Varianten feministischer Kritik der individuellen Rechte denken.

1) Einerseits kann der Vorwurf lauten, dass alle graue Theorie falsch bleibt, so lange die Männer in der Realität den Frauen ihre Rechte vorenthalten. Individuelle und subjektive Rechte geben dann das Versprechen ab, das für die eigentlich gleichberechtigten Frauen noch einzulösen ist; gelingt dies, wird auch das Patriarchat umgeworfen. Frauen haben dann Rechte im Bereich Eigentum und Handel (der Ökonomie), von Familie und Ehe (besonders das Scheidungsrecht), sowie politische Rechte (Stimmrecht, Meinungsfreiheit, passives Wahlrecht etc.) zu erhalten und haben es durch die Jahrhunderte in vielen modernen Verfassungen auch erkämpft. Dabei handelt es sich sozusagen um einzelne Schritte in Richtung Emanzipation und Gleichberechtigung.

2) Andererseits lässt sich der Hebel auch an der Idee gleicher Rechte für alle ansetzen. Denn wenn die Verhältnisse, insbesondere die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern, der Idee gleicher Rechte spotten, dann müssen auch der Idee der Rechte Kontextsensibilität und ausgleichende Ungleichheiten eingepflanzt werden, um überhaupt Rechte für diejenigen Subjekte zu ermöglichen, die ihnen durch soziale Herrschaft vorenthalten werden. Theoretisch lassen sich auch in diesem Fall wieder mehrere Optionen denken: von positiver Diskriminierung (Stichwort ‚Frauenquoten‘) als Ausnahmemaßnehmen der ausgleichenden Bevorzugung Minderprivilegierter, über Kataloge von Frauenrechten als Menschenrechte, die allmählich in die Grundrechtskataloge integriert werden sollen, bis zur Theorie der dekonstruierenden Umdeutung und Verschiebung eines jeweils gegebenen Rechtsverständnisses, in dessen Rahmen Rechtskataloge für bestimmte historisch und sozial variierende Situationen von Rechtssubjekten in spe gebraucht werden können. In diesem Sinne hat sich beispielsweise Drucilla Cornell gegen ein einfaches Verbot von Prostitution oder Pornographie gewandt, wie auch gegen jegliche Abtreibungsverbote, da es aus ihrer Sicht darum gehen muss, Frauen, um beim Beispiel zu bleiben, Pornographie als Handlungs- und Ausdrucksoption offen zu lassen, um sie in ihrem Sinne zu Zwecken der Emanzipation nutzen zu können. Dann würde Pornographie zwar in den Bereich der Meinungs- und Pressefreiheit fallen, was aber nicht ohne eine Sensibilität für die vorhandene Unterdrückung und Objektivierung der Frauen durch den Sex der Mainstream-Pornographie im befreienden Sinne nutzbar gemacht werden kann. Mainstream-Pornographie wäre demnach zu bekämpfen, DIY-Pornographie zu Zwecken sexueller Befreiung hingegen zu unterstützen, was alles andere als eine abstrakte Gleichbehandlung ergibt.

Zuspitzen lassen sich diese beiden Feminismen auf die Frage, sind Rechte zwar geschlechtsneutral, aber in der Gesellschaft noch nicht ausreichend verwirklicht, oder sind sie geschlechtsanfällig und dem jeweiligen Kontext von Geschlechter- und mit ihnen einhergehenden Machtverhältnissen auf die eine oder andere Art anzupassen? Ich möchte diese Frage hier nicht ausführlich diskutieren, sondern anmerken, dass mir weder gegen die Integration von Frauen in die bis dato ihnen vorenthaltenen Rechte, also beispielsweise die Anerkennung auch ihres Recht auf Scheidung einer Ehe, noch gegen eine geschlechtssensible Deutung von Rechten einseitig schlagende Argumente einfallen. Wie jedoch richtet sich speziell der Blick der Männer heute auf diese Fragen?

Abgehen von denjenigen Maskulinisten, die die Frauen als schwächere Menschen betrachten, die der Herrschaft der Männer zu unterwerfen sind, werden wohl gleiche Rechte für Frauen in den modernen Gesellschaften von Männern (auch gemäßigten Maskulinisten) prinzipiell, wenn auch oft nur verbal, anerkannt. Auf dieser Basis lassen sich Rechte von Frauen auch in den Gesetzbüchern implementieren und es folgt eine schwere, aber notwendige Arbeit der Sensibilisierung von Männern und Institutionen, diese Rechte von Frauen auch wahrzunehmen und zumindest ihr Verhalten daran zu orientieren. Von der Beratung bis zur Therapie lassen sich viele Formen dieser Arbeit vorstellen, finden auch statt, sie befinden sich aber sozusagen unterhalb der Ebene des Rechtsverständnisses, das für diese Arbeit als geklärt vorausgesetzt werden muss. Frauen haben demnach die gleichen Rechte wie Männer. Männer mögen auf diese Impulse offen und interessiert, oder ablehnend und sich zähneknirschend unterwerfend reagieren. Beispielsweise lässt sich beobachten, dass Männer in männerbündlerischen Zusammenhängen in Betrieben oder patriarchal angestammten Positionen (wie als Richter) zwar ihre sexistische Sprache glätten und vermeiden, jedoch andere, stillere Formen der Diskriminierung finden, ohne vor allem ihren patriarchalen Gefühlshaushalt wandeln zu können. Das alleine spricht jedoch nicht gegen die Auffassung von gleichen Rechten von Frauen und Männern und erst Recht nicht gegen die Arbeit der Aufklärung von Männern und gesellschaftlichen Einrichtungen gegen ihre bis dahin als selbstverständlich hingenommene Objektivierung und Entmenschlichung von Frauen.

Wie lässt sich darüber hinaus eine partielle Entrechtung von Männern zugunsten der Emanzipation von Frauen verstehen und beurteilen? In der Praxis der positiven Diskriminierung (affirmative action) klingt eine Möglichkeit dieser partiellen Entrechtung von Männern an. Frauen werden beispielsweise im Falle gleicher Qualifikation zur Besetzung einer offenen Stelle Männern vorgezogen, was auch für Behinderte, ethnische oder religiöse Minderheiten praktiziert kann. Ich halte solche Regelungen und ihre Legalität für überaus sinnvoll, um die augenfälligsten Ungerechtigkeiten im Bereich Berufschancen und Einkommen zwischen Frauen und Männern auszugleichen, zumal ihre zeitliche Begrenzung unmittelbar ins Auge fällt. Sobald diese Ungerechtigkeiten beseitigt sind, was in der Bundesrepublik keineswegs der Fall ist, endet auch die Anwendung dieser Regeln.

Mir scheinen jedoch Fragen des Zusammenhangs von Rechten, Machtbeziehungen (sowie dem mit ihnen einhergehednen Gefühlshaushalt) und subjektiver Befreiung interessanter zu sein. Ganz einfach liegt der Fall, wenn ein Mann behauptet, dass die Verheiratung seiner Tochter an einen Partner seiner Wahl sein angestammtes Recht sei. Das lässt sich als traditionale Ideologie entlarven, die die Vorherrschaft von Männern über Frauen, besonders verwandten Frauen, rechtfertigt, aber dem Argument der Gleichberechtigung nicht stand hält. Hier hat der Mann Rechte abzugeben, die sich ohnehin als nur vermeintliche Rechte entpuppen, was Frauen im Hinblick auf bestimmte Lebensentscheidungen befreit. Etwas komplizierter wird es in moderneren Beziehungen, in denen die Machtverhältnisse subtiler gestaltet sind. Hier haben Rechte von Frauen wie von Männern viel mit Anerkennung des Subjekts und ihrer Unterschiede zu tun. Beispieslweise rührt einer der Beweggründe der Entstehung des Patriarchats daher, dass nur Frauen schwanger werden, Kinder gebähren und stillen können. Das macht besondere Erfahrungen aus, eine besondere Beziehung zu einem Neugeborenen, besonders wenn die Mutter stillt, aber auch besondere Schmerzen und Leiden, die Männer nicht nachempfinden und nicht übernehmen können. Das ergibt eine Erfahrung der Machtlosigkeit für Männer, die, besonders wenn sie unreflektiert bleibt, in Versuchen der Kontrolle der Frauen in diesen Lebensvorgängen, aber auch anderen Bereichen des Lebens resultieren. Dazu gehört besonders die Kontrolle des weiblichen Körpers und der weiblichen Sexualität. Die (vermeintliche) Sicherung einer Vormachtstellung aus dem Gefühl der Machtlosigkeit heraus, denn eine hundertprozentige Kontrolle des weiblichen Körpers und damit unter Umständen des Umgangs mit dem eigenen Kind lässt sich nicht herstellen, gepaart mit Empfindungen der Eifersucht, des Neides, gelegenlich auch des Mitleides – das sind einige Ingredienzen des Patriarchats. Es liegt hier eine Ungleichheit schon in den Möglichkeiten subjektiver Erfahrung vor, eine Ungleichheit, die in absehbarer Zeit technisch nicht ausgeglichen werden wird. Die Lösung für die so entstehenden Probleme, also den Rückzug der Männer von der Kinderpflege und -erziehung, das männliche Übergewicht in der Berufsausübung, der Ersatz von Gefühlen für Frau und Kind durch machtorientierte Verweigerung ihnen gegeüber, wenn sie denn in die Sphäre der Rechte fallen, funktionieren kaum über die Realisierung gleicher Rechte. Vielmehr geht es darum, dass Frauenrechte in diesem Zusammenhang durch Anerkennung ihrer Erfahrungen und ihrer Leistungen entstehen. Sobald Schwangerschaft und Stillen eine besondere, auch materielle Unterstützung erfahren würden, könnte die Kinderpflege und umfassende, also auch emotionale Sorge für sie, von den Kategorien des Geschlechts teilweise gelöst werden. Männer haben gewissermaßen auch ein Recht auf Kinder und Kindererziehung, auch wenn sie bestimmte körperliche Erfahrungen mit ihnen nicht machen können. Sie müssten diese Rechte zum Beispiel gegenüber Arbeitgeber_innen geltend machen. Das gleiche gilt dann für Menschen mit anderen geschlechtlichen und sexuellen Identitäten. Ich kann hier nicht alle Möglichkeiten durchspielen, aber sobald die unterschiedlichen (körperlichen) Möglichkeiten Anerkennung finden, Erfahrungen mit dem Kinderkriegen zu machen, kann es aus dem Gefängnis ’natürlicher Weiblichkeit‘ befreit werden. Das würde wiederum zumindest alle diejenigen Subjekte befreien, die einen Kinderwunsch hegen, nämlich ihre individuelle Rolle dabei wahrzunehmen; aber auch diejenigen, für die Kinder nicht in den eigenen Lebentwurf passen, brauchen sich nicht mehr mit Ansprüchen ’natürlicher‘ Lebensweisen (sprich: als Frau hast du Kinder zu bekommen) auseinander zu setzen.

Die genannten Gefühle wie männliche Eifersucht und männlicher Neid, sowie körperliche Möglichkeiten können auf diese Weise, durch Anerkennung, nicht einfach abgeschafft oder egalisiert werden. Aber sie können eine neue Deutung erfahren, nach der Rechte auf Unterstützung und Freiräume neu entstehen, zwar individuell angewendet werden, aber nicht mehr natürlichen Geschlechtern, sondern eher Lebensplänen und -entwürfen zugeordnet werden können. So kann auch nicht die ungleich vorhandene Macht ausgleichen, die eine Frau über ein Kind in ihrem Körper hat, über das sie, als Teil ihres Körpers auch die volle Kontrolle haben können muss. Aber die männlichen Reaktionen auf diese Macht muss nicht mit einer unreflektierten Zementierung der männlichen Macht, in der Phase der Schwangerschaft und der Babypflege außer Haus zu gehen, kompensiert werden. Auch Beruf, Freunde, Sport oder was immer sind für alle da, wenn nämlich die individuelle Situation und die eigenen Wünsche es nahe legen.

So weit erste Überlegungen zu anerkannten Rechten, die auf Ungleichheit basieren, ich hoffe, dass sich diese Thesen ausweiten und gründlicher diskutieren lassen.