Schlagwort: Autonomie

Trotzphase

OK, viele Bürger_innen in Deutschland befinden sich gerade in der Trotzphase. Während sie erwachsen sind und durch einfaches Nachfühlen und ein wenig Reflexion diese Phase durchstehen könn(t)en, hat mein Kind es zur Zeit wirklich manchmal schwer. Alle Eltern von Kindern, die 2-3 Jahre alt sind, kennen solche Phasen.

Das Kind entwickelt seinen Willen, will aber gerade nicht bei dem mitmachen, was die Eltern wollen. Trotz wird dieses Nein genannt, weil es – als Machtkampf verstanden – so deutlich wenig Chancen hat, aus sich heraus gegen den Willen der Er-, nein, Aufziehenden zu bestehen. Ohne ihre Gnade kein Nein und kein Ja. Oft wird dem Kind allein aus diesem Grund zugestanden, eine schwere Phase zu haben. Eigentlich liegt sie jedoch darin begründet, dass die Erziehenden so oft nein sagen. Dann bricht ehrliches Entsetzen aus: unter Tränen und lautem Wiederholen der Forderung versucht das Kind, seinen Willen doch noch zu bekommen. Es geht ihm wirklich für einen Moment lang nicht gut.

Ich denke, für Schwierigkeiten dieser Phase gibt es einen wesentlichen Grund. Unser Kind hat über zwei Jahre lang vor allem mitmachen wollen. Klar gibt es den neugierigen Blick über die Tischkante – was passiert denn da gerade? kann ich das auch? – immer noch. Aber jetzt möchte er machen. Selbst machen. Das Problem ist nur, wie findet er heraus, was genau er machen möchte? Es gibt so viele, oft widerstreitende oder zumindest einander ausschließende Bedürfnisse und Ansinnen, von den Gefühlen ganz zu schweigen. Die Milchflasche, die Wasserflasche, ein Schnuller; ach, ein Zug, eine Mülltonne, ein Stück Kartoffel. Welchen Wunsch soll er denn nun versuchen, zur Anerkennung zu bringen? Dass er bei seinen Eltern mit seinen Wünschen etwas bewirken kann, steht fest, aber jetzt geht es darum, sich aus dem für ein Kind reichhaltigen Schatz an Möglichkeiten einige zu eigen zu machen. Zusammen mit den Eltern. Vielleicht kommt daher das Thema hergeben/weggeben oder behalten/zurückhalten (anale Phase) in dieser Zeit. Wir können ihm alle möglichen Dinge geben, aber dafür wird er früher oder später Wünsche hergeben müssen, andere behalten können. Sehr gegenständliche Wünsche: Essen, Spielzeug, Bilder, aber auch Musik (lange Zeit kann er damit verbringen, die CDs durchzuprobieren und dabei jedes Mal in eine neue Welt einzutauchen) oder kuscheln, vorlesen und ausruhen.

Ich glaube, deswegen hat er und haben wir es gerade nicht nur leicht, wenn es auch wenige Erlebnisse sind, die so furious beeindrucken, wie ein junger Mensch, der sich allmählich einen eigenen Willen, ein freies Ich aufbaut.

Gute Vaterschaft

Ein solcher Titel verspricht mehr, als der Text einlösen kann. Was ich mir unter einer guten Vaterschaft vorstelle, weiß ich noch nicht. Mein zweites Kind kommt bald zur Welt, mein erstes starb mit dreieinhalb Monaten. Viele Vater-Erfahrungen kann ich nicht vorweg nehmen.

Während der zweiten Schwangerschaft meiner Freundin fielen mir Eigenschaften und Reaktionsweisen an mir selbst auf, die mir neu waren. Bei der ersten Schwangerschaft lag mein Fokus auf der seltsamen und bisweilen fragwürdigen Behandlung, die meine Freundin durch Ärzte, Ärztinnen und Hebammen erfuhr. Jetzt musste ich mir darüber klar werden, wie sehr ich entgegen aller guten Vorsätze vermied, die Vaterrolle selbst zu prägen. Wie prägen sie andere Männer?

Väter wie Malte Welding und Rochus Wolff haben von den ‚modernen‘ Anforderungen an ihre Vaterschaft erzählt. Während Welding Fragen stellt: mache ich alles richtig, kann ich es gar perfekt machen, so dass mein Kind gesund (über)lebt? Konvergieren Realitäten wie Lohnarbeit und Mietzahlungen mit den aktuellen Kindererziehungsmethoden à la ‚zurück zum 24-Stunden-Tragetuch‘?; empfiehlt Wolff

Auch Männer müssen sagen: Ich will Zeit für meine Kinder haben. Wir Männer müssen endlich kapieren, dass man Erwerbs- und Reproduktionsarbeit auch paritätisch teilen kann und dass es unglaublich bereichernd ist, viel Zeit mit unseren Kindern verbringen zu können: Es macht uns zu vollständigeren, glücklicheren Menschen.

— Geärgert habe ich mich über Thomas Gesterkamps Erläuterung der Vätertypen. Alle Typen sind gut, auch wenn sich die einen um Kind und Familie sorgen, die anderen lieber im Hobbykeller verschwinden. So war die Postmoderne nicht gemeint.

Zumindest eins steht fest, die Vaterschaft beginnt mit der Schwangerschaft und wird vielleicht auch schon in dieser Zeit entscheidend geprägt. Wie sich der Vater zur Schwangeren verhält, so wird in etwa auch die Vaterschaft aussehen. Zugewandt oder abgewandt, ängstlich und neugierig, mehr verspielt oder mehr ernst. Die Aufteilung von Berufs- und Hausarbeit spielt hier zwar eine entscheidende Rolle, sagt aber nicht alles aus. Auch wer als Vater und Mann kräftig im Haushalt mithilft, kann sich emotional verantwortungslos fühlen, unter- oder überlegen.

Mit einer Schwangerschaft kommt ein Mann vielleicht zum ersten Man an einen Punkt der wirklichen Ohnmachtsgefühle in seinem Leben. Wenn ich vor allem mich selbst richtig beobachtet habe, geht es nicht so sehr darum, dass die Schwangere letztlich die Kontrolle über das Baby hat. Das stimmt zwar, trifft aber nicht den Kern der Ohnmacht. Da muss der werdende Vater zusehen, wie die Schwangere, wenn denn der Bauch wächst, unverschämt und ungeniert angeglotzt wird, und hat Glück, wenn sie sich zur Wehr zu setzen weiß. Da gibt es all die ärztliche Kontrolle, ein Arbeitsverbot für Kindergärten (wegen der Infektionsgefahr für die Schwangere und das Kind) und eine sich verändernde Perspektive aller Verwandten und Freunde auf die Paarbeziehung. Die Schwangere steht im Vordergrund, wie es ihr geht, wird von nun an signifikant öfter gefragt. Zu diesen Reaktionen der anderen gesellen sich innere Reaktionen des Vaters.

So kann der Vater die mal mehr, mal weniger intensiv auftretenden Schwangerschaftssymptome zu lindern helfen, mehr aber nicht. Alleine das macht ohnmächtig, dazu kommt der Eindruck, den es hinterlässt, in Sachen Kindergebären auf Frauen angewiesen zu sein. Nur die Mutter kann Kinder bekommen, der Vater kann das nicht. Wenn ein Junge in einer Mutter-Vater-Kinder-Familie aufgewachsen ist, wird ihn dieses Wissen schwer beeindrucken. Daher kommt der Begriff ‚womb envy‘ (z.B. bei Catherine Silver oder bei Eva Kittay im Buch „Joyce Trebilcot (Ed.), Mothering, 1984“), der Neid der Männer auf die Fähigkeit der Frauen, in ihrem Körper lebendige Menschen heranwachsen zu lassen, sie zu gebären und in der ersten Zeit zu nähren. Nicht zufällig haben sich einige radikale Feministinnen, wie Shulamith Firestone, für eine Entwicklung künstlicher Reproduktion der Menschen ausgesprochen, um das Feld der Geschlechter verlassen zu können, denn dieser Neid der Männer bildet die Basis für Ohnmachtsgefühle, Ängste, Aggressionen und Gewalt gegenüber Frauen.

Solche Vermutungen mögen reichlich abstrakt klingen, nach natürlichen Gesetzen, wo es doch um Handlungsspielräume geht, oder nach unbeweisbarer Spekulation. Auf den Boden des Gebärneides wird der Vater jedoch gesetzt, wenn er zum ersten Mal den dringenden Wunsch verspürt, die bedürftige Schwangere im Regen stehen zu lassen und bei Übelkeit, Schmerzen und einem Satz wie ‚trägst du mir mal den Rechner rüber‘ das grummelige ’stell dich nicht so an‘ gerade noch für sich behält. Ich bin der Meinung, dass der Stolz des Vaters, seine Freude über das Kind erst dann richtig zur Geltung kommen können, wenn auch diese Seiten seiner Gefühlswelt gewürdigt werden.

Das bisweilen mühsam aufgebaute Kartenhaus der Autonomie in der Beziehung beginnt kräftig zu schwanken, wenn der Vater von anderen mehr als der Freund / Mann / Begleiter der Schwangeren gesehen wird, das Befinden der Schwangeren mehr zu zählen scheint als seines, er der Schwangeren in unangenehmen Situationen beistehen möchte und ihr manche täglichen Gänge abnimmt. Wo bin ich, wenn ich für sie da bin? Leidet der Vater unter einem Gefühl des Machtverlustes oder lernt er dazu? Auf diese Situation reagieren verschiedene Väter natürlich ganz verschieden und bereiten sich dementsprechend auf unterschiedliche Varianten ihrer Vaterschaft, also der Sorge um ein Kind vor.

Für mich war und ist es eine beeindruckende und nicht ganz verarbeitete Erfahrung, durch die Aufmerksamkeit für meine Nächsten die (imaginierte) Fähigkeit zu verlieren, alles machen zu können. Manches an Gewohnheiten, Hobbys und Interessen muss hinten an stehen. Der Vater kann sich nicht einfach in den Hobbykeller zurück ziehen, um Kraft für seine Liebsten zu sammeln – so ein gängiges Märchen -, und er kann das Familienglück auch nicht als Kompensation für den Verlust der Befriedigung seiner Ego-Interessen betrachten. Nicht nur das Bild des Mannes als Herrscher über die Familie, als Tonangeber bröckelt (seit Jahrzehnten), sondern auch das Bild als Vater, Partner, Berufsausübender, Freund im Freundeskreis und Freizeitgenießer in einem wird auf eine harte Probe gestellt. Schon mit der Schwangerschaft werden Zeit und Energie an die Schwangere und das Baby gebunden. Hinzu kommt die Erfahrung des für den Mann Unerfahrbaren: Wie kann meine Partnerin das Kind wachsen lassen und gebären?

Wenn das kein schönes Beispiel für die Potenz von Machtverschiebungen abgibt.

Ich betrachte diese Bemerkungen als einen Hintergrund für weitere Texte, in denen ich einzelne Aspekte herausgreife und unter die Lupe nehme, angereichert mit denen neuen Erfahrungen, die da kommen werden. Vorläufig bleibt das Fazit, dass die Schwangerschaft meiner Freundin auch mich und mein Bild von mir verändert hat. Als Vater bin ich in hohem Maße von der Mutter abhängig und kann versuchen, diese Erfahrungen so in das Bild, das ich von Beziehungen habe, einzubauen, dass sie nicht als Machtverlust gilt, sondern als produktive Verschiebung meiner Prioritäten.

[Edit: ] Hier findet ihr einen Nachtrag.